Wachstumsschmerz
man im Alter von siebzehn oder achtzehn häufig vorschnell einleitet, weil man die vererbten Möbel spießig findet, geschliffenen Stahl langweilig und alles, was weiß oder aus Holz ist, irgendwie zu erwachsen. Und so haben wir also eine eigentlich sehr schöne schlichte Bauhaus-Metallleselampe, leider nachträglich knallblau lackiert. Mit einem minderwertigen Pinsel, das erkennt man an den eingeklebten Pinselhaaren. Zwei wunderbare alte Eisenspinde, einer grellrot, einer Granny Smith-grün. Und diese wirklich schöne hölzerne Flurkommode mit tausend schmalen Schubladen und verzierten Griffen. Auch grellgrün. Dank der Ungeduld des siebzehnjährigen Flos kann man, wenn man die Schubladen aufzieht, noch sehen, wie das ursprüngliche Holz aussah. Wunderschön. Jeder Möbelantiquar würde Flo dafür töten.
So denkt jeder von uns auf seinen eigenen Gedanken rum, und wir vergessen minutenlang, dass wir in unserem ersten gemeinsamen Flur stehen wie zwei Kinder, die an einer Autobahnraststätte vergessen wurden. Händehaltend, immer noch.
»Und nun?« Ich sehe Flo an und merke, dass ich tatsächlich einfach nicht weiß, was jetzt zu tun ist. Als hätte ich plötzlich vergessen, was man so macht um elf Uhr abends. Als bräuchte ich dringend eine Anleitung für weiteres Vorgehen. Alles, was irgendwie normal erscheinen müsste, fühlt sich falsch an. Fernsehen? Auf dem Sofa sitzen, lesen? Ist es zu früh, um ins Bett zu gehen?
»Ist es zu früh, um ins Bett zu gehen?«, fragt Flo und schiebt die Unterlippe vor.
Und dann fällt der ganze Kack von mir ab, und ich lache und drücke den schon wieder ganz verschwitzten Flo, so doll ich kann, an meinen schwitzigen Körper und sage: »Nee. Bett klingt voll gut. Und weißte, was wir noch dringend machen müssen? Ein letztes Erstes Mal für heute quasi?«
»Na?«
»Engtanz zu Sinatra. Für Manne hab ich keine Kraft mehr.«
Und dann fällt Flos ganzer Kack von ihm ab, und erst jetzt merke ich, dass er, seit wir hier rumstehen, augenscheinlich vergessen hat zu atmen, und er pustet den ganzen langen Tag aus seinen kräftigen Kletterlungen heraus und mir ins Gesicht, so dass meine Haare fliegen.
Frankie singt, natürlich, von der Liebe, während wir uns durch die neuen, noch unbetanzten Räume schieben. Frankie findet, dass die Liebe gut zu ihm gewesen ist, obwohl er ein einsamer Vagabund ist. Es immer war. Er hatte viele Mädchen an vielen Orten, und er hat sie alle geliebt, und obwohl sie alle irgendwann wieder gingen, ist er dankbar dafür, dass die Liebe immer mal wieder vorbeigeschaut hat. »Once in a while along the way love’s been good to me«.
Ich mag das Lied vor allem deshalb so gerne, weil es von einer modern anmutenden, nicht notgedrungen für immer halten müssenden Liebe so ungewöhnlich aufgeschlossen erzählt. Kein »forever«. Kein »the one and only«. Nur eine leise, demütige Dankbarkeit dafür, immer mal wieder geliebt worden zu sein.
Während ich den vor Müdigkeit ganz schlaffen, wieder in der Spirale seiner eigenen Gedanken verbummelten Flo fast bewegungslos im Arm halte (wir wiegen uns nur noch träge im Takt), frage ich mich, ob Flo nur eines meiner Mädels am Wegesrand ist oder ob wir Frankies Theorie aushebeln und ich hier mit dem Mann tanze, der meinen Grabstein aussuchen wird.
»Flo?«
»Ja?«, murmelt er an meinem Hals.
»Blödes Thema, aber wenn ich sterbe, kannst du dich um die Musik kümmern?«
»Kommt ein bisschen drauf an, wann du stirbst.«
»Kann ich dir jetzt nicht auf den Tag genau sagen. Aber sorgst du dafür, dass kein Scheiß gespielt wird? Und dass ich Jeans trage im Sarg?«
»Klar. Aber ich kann dir jetzt ja viel erzählen. Am Ende lege ich dich in die Kiste, wie du mir am besten gefällst.«
»In kurzen Cargo-Hosen und Klettergurten?«
»Rote Spitze. Hohe Schuhe.«
»Du kennst mich gar nicht in roter Spitze. Niemand kennt mich in roter Spitze. Rote Spitze sollte verboten werden. Du hasst rote Spitze!«
»Dann in kurzen Cargo-Hosen und Klettergurten.«
»Aber was ist mit der Musik? Wirst du dafür sorgen, dass alles gut und schön und nicht furchtbar ist?«
»So wenig furchtbar, wie dein Tod dann eben wäre?«
»Ja.«
»O.k., an welche Musik denkst du?«
»Irgendwas Schönes und Trauriges.«
»Wow. Sehr innovativ.«
»Aber auch ein bisschen zuversichtlich.«
»›Haha, die Hex’ ist tot‹?«
»Ach, fick dich.«
»Luise, ich finde es grad eher schwierig, über deine Beerdigung nachzudenken, während
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