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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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fühle ich mich nicht mehr ängstlich, sondern schuldig. Mein mutiger Freund hat all seine Ängste mit bunten Klettergriffen versehen und bestiegen, er steht schwitzend, aber triumphierend auf dem bezwungenen Gipfel, hält zwei Kaffeebecher in der Hand und schafft es, dabei noch einen starken Arm um seine neue Mitbewohnerin zu legen. Wie viel cooler kann man denn bitte noch sein, weshalb ihn jetzt also von dort oben hinunterstoßen, nur weil ich nicht so schnell klettern kann? Flo hat es nicht verdient, mich am Tag seines eigenen großen Ersten Males aufbauen zu müssen. Sein Rucksack ist genauso voll und schwer wie meiner.
    »Letztes Mal Manne?«, frage ich also und rutsche auf schwitzigen Sohlen zum Computer.
    »Check!«, freut sich Flo und steht bereits in Beat-Position.
     
    Und dann war das letzte Mal in meiner Wohnung duschen doch gar nicht mein Letztes Mal, sondern mein Vorletztes, und das Letzte Mal ist gleichzeitig zwei Erste Male, nämlich das erste Mal mit Flo zusammen duschen (sämtliche Aktivitäten, die Körperhygiene beinhalten, trennen wir sonst strikt) und das erste Mal mit Flo in der Dusche vögeln.
    Und während unser potentieller Nachwuchs im Abfluss verschwindet, entweicht auch meine Panik.
     
    Meine Wohnung ist voller drahtiger und schwitzender Männer. Kletterkumpel von Flo, keine Frauen. Da ich kaum Männerfreundschaften habe und die wenigen Mädchen, die Zeit gehabt hätten, alle sehr zart sind, hat Flo sich die aktive Anwesenheit von Damen verbeten. Kein chauvinistischer Zug, wie ich finde, sondern ein rührend altmodischer. Wenn Flo doch einen Transporter voller kräftiger Herren hat, wofür meine ganzen Kunst- und Nähfreundinnen brechen? Also muss auch Rieke nicht ran und kocht dafür nebenan irgendwas Vegetarisches zum Mittag für die Umzugshelfer. Jana, die gekommen wäre, hätte ich sie darum gebeten, ist in Leipzig geblieben und jetzt ein wenig neidisch. Sie stellt sich eine Wohnung voller drahtiger Bergsteiger aufpeitschender vor, als es ist. »Sind alle nackt?«, flüstert sie ins Telefon, während ich auf der Kiste »Gürtel/Tücher/Schals« sitze und an meinen Zehen rumpule. Ich sehe mich kurz um und antworte mit der Leidenschaft einer Kassiererin: »Ja. Alle nackt. Und sie heben die Kisten mit der bloßen Kraft ihrer Schwänze!«
    »Echt?«, haucht Jana, dann wird ihr bewusst, dass die Vorstellung sowohl furchtbar unerotisch als auch total hanebüchen ist, und wechselt das Thema.
    »Ist Papa auch da?«
    Davon abgesehen, dass dieser Themenwechsel irgendwie unglücklich ist, antworte ich bereitwillig: »Du meinst, weil er so gern unter jungen Menschen ist?« Ich klinge verbittert und bin es auch. Vor wenigen Tagen hatte mich unser Vater angerufen und mich kurz in den Glauben gestoßen, er wolle seine Hilfe für unseren Umzug anbieten, bis sich herausstellte, dass er mir nur sehr dringend nahelegen wollte, ein iPad zu kaufen. Ich glaubte relativ lange an einen Scherz und hörte mir belustigt seine teilweise sogar biblischen Lobpreisungen an, bis ich bemerkte, dass es ihm vollkommen ernst war. Ich erklärte ihm, dass ich das iPad durchaus sexuell erregend fände, es aber überhaupt nicht gebrauchen könnte, und erntete an Verachtung grenzendes Unverständnis.
    Er versuchte zwanzig Minuten lang, mich von den Vorteilen zu überzeugen, und beendete das Gespräch missmutig.
    »Mein Vater liebt Steve Jobs mehr als mich.«
    »Ach, Lu, du kennst den ollen Muffelmann doch inzwischen genug, um dich nicht jedes Mal davon ärgern zu lassen!«
    »Sollte man meinen, was? Jana, ich muss jetzt los. Die zerren an meiner Sitz-Kiste!«
    »Alles klar, dann viel Glück! Und, Luise …?«
    »Jepp.«
    »Kannst du vielleicht ein paar Fotos von den Jungs machen?«
    »Nein.«
     
    Obwohl ich nicht einen Finger krümmen darf, schwitze ich. Mein gesamtes Leben befindet sich nun in einem mittelgroßen »Robben & Wientjes«-Transporter und ist bereits auf dem Weg in unsere neue Wohnung. Eigentlich sollte ich umgehend in meinem eigenen Auto nachfahren und meinen Job tun: beaufsichtigen und dirigieren.
    Dennoch bin ich für einen Moment in der Stille meiner alten und nun komplett leeren Wohnung gefangen. Ganz schüchtern stehe ich inmitten meiner nahen Vergangenheit, sehe mich um und möchte Musik hören. Wie toll es wäre, wenn die Dinge manchmal wirklich wie im Film wären und in den richtigen Momenten die richtigen Lieder einsetzen würden. Dann fällt mir mein Telefon ein, was ja dieser Tage alles kann, und

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