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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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hinterher.
    Flo regt sich nicht.
    »Ich kann nicht den Daumen drauflegen, aber irgendwas an diesem Käfig voller Narren eben hat mich aufplatzen lassen.«
    »Es war doch aber ganz schön da«, sagt Flo leise.
    »Darum geht’s doch überhaupt nicht«, antworte ich bedeutend harscher als nötig. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut zu werden. Flo ist offensichtlich vollkommen überfordert von seiner vollkommen unberechenbaren,
unzurechnungsfähigen
Freundin und bietet einen furchtbar erbärmlichen Anblick.
    »Ich weiß doch auch nicht, ich bin einfach nicht zufrieden. Nicht mit mir, meinen Entscheidungen, meinem Leben und nicht mit dir. Uns.«
    Ich angle mir eine Zigarette vom Nachttisch. Zeit dafür habe ich, Flo liegt wie aus blassem Stein gemeißelt auf seinem Bett.
    »Ich weiß, dass ich große Teile davon mit mir allein ausmachen muss, aber den Teil, der uns beide betrifft, den müssen wir uns teilen.«
    »Aber ich bin nicht unzufrieden mit uns.« Mit diesen Worten hat er lange gerungen, das spüre ich. Er wollte eigentlich fragen, was genau mein Problem mit uns ist, aber er fürchtet sich vor der Antwort.
    »Wie kannst du nicht unzufrieden mit uns sein?«, frage ich. »Ich bin eine beschissene Furie!«
    »So schlimm ist es nicht.«
    »Doch. Ist es. Ich bin launisch. Reizbar wie Sau. Und dass du alles immer nicht so schlimm findest, macht es nicht besser. Im Gegenteil, es ist Teil des Problems. Es macht mich irre, dass du immer einfach alles so hinnimmst. Dass du nicht mehr
Du
bist, nicht mehr willst, mehr einforderst. So war es doch nicht schon immer, oder doch?«
    Flo denkt nach, und ich lasse ihn. Ihn mit Worten zuzuschütten macht alles viel schlimmer. Das weiß ich, auch wenn es sich jetzt nicht vollkommen vermeiden lassen wird. Ich bin so voll! Und er so leer. Aber solange ich es noch im Griff habe, rauche ich seine Leere voll und warte ab.
    »Nein, ganz so wie jetzt war es sicherlich nicht schon immer«, sagt Flo und setzt die Betonung am Ende des Satzes so, dass klar ist, dass mehr erst mal nicht geplant ist.
    »Und weshalb ist es dann jetzt so?«, hake ich nach. Eher aus Boshaftigkeit als aus ernsthaftem Interesse. Denn Flo wird sagen, dass er keine Ahnung hat.
    »Keine Ahnung.«
    Ich atme so leise wie möglich tief ein. Und halte die Luft wie ein Kiffer lange in meinen Lungen.
    »Flo, so geht das nicht weiter. Wirklich nicht. Ich weiß, dass du so bist, wie du bist. Und auch ich kann ja nicht aus meiner Haut, aber wenn wir irgendeine Chance auf eine schöne Scheunenhochzeit haben wollen, dann müssen wir etwas ändern!«
    »Ja, vermutlich hast du recht.« Herrje, wie oft ich diesen Satz schon als Vorschlag für ein Diskussionsende gehört habe.
    »Aber verstehst du meinen Punkt auch wirklich? Dass ich es unerträglich finde, dass du dich immer nur nach mir richtest. Alles immer nur in Empfang nimmst, einsteckst. Ich hätte gern ein wenig mehr Männlichkeit zurück. Mehr Entscheidungen, die du triffst, mehr auf die Fresse, wenn ich es verdient habe, mehr
Du
und ein bisschen weniger
Wir
.« Das mit der Männlichkeit war unter der Gürtellinie und tut mir sofort leid. Auf der anderen Seite trifft es den Nagel leider auf den Kopf.
    »Ich mag unser
Wir
«, sagt Flo trotzig.
    »Ich auch. Ich liebe unser Wir, ich kann nur kaum noch
Du
in dem
Wir
erkennen. Nur noch
Ich
. Und das ist scheiße. Und für beide Seiten nicht gut.«
    »Ja. Das stimmt.«
    »Ich weiß.«
    »Ich versuch’s.«
    »Danke. Im Gegenzug versuch ich, weniger eine verrückte Alte zu sein. Ich finde mich ja selbst zum Kotzen, wenn ich so bin. Und es tut mir leid. Wirklich.«
    Zack – kommen mir sofort wieder die Tränen.
    Flos Hand überwindet schüchtern alle Holz- und Emo-Mauern und streicht mir ungelenk die Tränen aus dem verschwollenen Gesicht. Und jetzt, wo die »defense« unten ist, erreicht er mich wieder, und die Berührung fördert erneutes Schluchzen zutage.
    »Es tut mir wirklich leid! Ich will nicht so eine Bitch sein, aber ich habe das Gefühl, dass niemand auf mich aufpasst, wenn ich so außer Kontrolle bin, und ich brauche das aber! Dass mir jemand Einhalt gebietet, mich festhält, damit ich nicht wie ein bösartiger, unkontrollierter Flummi gegen die Wände donnere und das gute Porzellan zerdeppere, verstehst du?«
    »Ja. Verstehe ich. Ich bin nur einfach nicht besonders gut darin. War ich nie. Aber ich versuche es. O.k.?«
    »O.k.«
    Ich stehe auf, um Klopapier zum Nase-Schnauben aus dem winzigen mittelbraun

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