Wachstumsschmerz
gratulieren.
Flo, der wenigstens ein paar Menschen kennt, nimmt an diesem Ritual tapfer teil, während ich wie eine missmutige Alte einfach an unserem Tisch sitzen bleibe, mich umsehe und mich frage, ob es das schon war. Trauzeugen-Stand-up, Liebesschwur, Buletten. Vermutlich gehört das soziale Mischen genauso dazu. Nur dass es eben ein weiterer Punkt auf der Liste ist, den ich nicht zu schätzen weiß. Vielleicht würde mir ein bisschen weniger arrogantes Arschloch-Gehabe ganz gut stehen. Vielleicht könnte ein wenig Hochzeitstratsch die kleinen spitzen Krallen meiner brandneuen Traurigkeit ein wenig lösen oder sie zumindest angemessen maniküren. Also hebe ich, schwerfällig wie eine alte Lok, meinen muffeligen Hintern hoch, um mich testweise in die nächstbeste Vierergruppe zu integrieren, allerdings bittet in diesem Moment der Brautvater um Gehör. Er möchte gern, nachdem nun alle hoffentlich satt, aber noch nicht betrunken sind, das Brautpaar zum Tanz auffordern. Nicht aber ohne vorher ein paar Worte zu verlieren. Also treten die entstandenen Grüppchen ein paar respektvolle Schritte zurück, lösen sich teilweise auf, um, sollte es gleich wieder romantisch werden, in der Nähe des eigenen Lebenspartners zu sein. Mein eigener Lebenspartner spielt das Spiel brav mit und stellt sich hinter meinen Stuhl, um mir die Hand in den Nacken zu legen. Eine tröstliche Geste, die nicht tröstet. Nichts macht. Nur da rumliegt wie eben die Hand, die sie ausführt. Wo wohl das Problem liegt? Sendet Flo nichts, oder empfange ich nichts? Ist unser W
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LAN of Love kaputt? Oder ist hier in dieser Umgebung nur »Edge« verfügbar? Flos trostlose tröstende Hand auf meinem Nacken fühlt sich an wie ein bewusstloser Fisch, je länger sie da liegt. Ich schüttle sie genervt ab, und obwohl ich mir der Schärfe dieser Geste durchaus bewusst bin, kann ich nicht anders. Das Bedürfnis, nicht berührt zu werden, ist plötzlich unbändig.
»Wir sehen aus wie ein Königspaar!«, sage ich schnell, so versöhnlich wie möglich.
Flo, eingeschüchtert durch meine Laune, vielleicht auch selbst verwirrt über das gestörte Liebes- W - LAN , sagt nichts.
»Ich meine, weil ich auf diesem schlimmen Polsterstuhl sitze und du schräg hinter mir, die Hand auf meiner Schulter. Du weißt schon. Wie ein royales Foto aus der ›Bunten‹«, versuche ich zu kitten, was mir grad zersprungen ist.
Bevor Flo darauf antworten kann oder muss, setzt der Brautvater zu seiner Rede an. Sie ist alles, was man erwartet: ungelenk beim Versuch, lustig zu sein, ein wenig zu vorbereitet, unsicher und einen Tick zu intim. Thea betrachtet ihren Vater mit einer Mischung aus Scham und Stolz, eingebettet in Arnes Umarmung. Meine Haut reagiert auf dieses Bild, als würde sie, obwohl selbst gänzlich unberührt, auch umarmt werden. Spürt quasi eine Phantomumarmung und fängt an zu brennen. Meine Oberarme fühlen sich an, als würden sie eine enorme Hitze ausstrahlen, also reibe ich sie mit kalten Händen, umarme mich selbst, während mir mit starrem Blick auf Theas Vater wieder die Tränen in die Augen schießen. Dieses Mal wehre ich mich nicht. Was immer in mir seine spitzen Krallen vergraben hat, es hält sich gut fest. Es ist gekommen, um zu bleiben. Also führe ich die schmalen Bäche durch bereits vorgefertigte Schneisen in meinem Gesicht. Natürlich bin ich wieder nicht die Einzige, die weint. Aber die Einzige mit unlauteren Gründen. Denn dieses Mal kann ich den Finger besser auf, ach
in
, die Wunde legen. Ich bin neidisch. Auf Theas Vater, der vielleicht nicht so schlau oder wortgewandt, aber voller Stolz und Liebe für sein Mädchen ist. Liebe, die er vernünftig zu artikulieren nicht so recht in der Lage scheint, aber meine Güte, wie
spürbar
sie ist! Und je mehr man sie spüren kann, desto weniger dringt davon in mich, und weshalb sollte sie auch, ist ja nicht für mich bestimmt. Also sitze ich auf dem Königsstuhl, während meine äußere Hitze proportional zur inneren Kälte ansteigt, und lasse gelbe Neidtränen aus meinem Gesicht laufen.
Flo, der sich offensichtlich gar nicht mehr traut, mich anzufassen, dennoch irgendeine Geste der Freundlichkeit, des Trostes geben möchte, streicht mir mit zwei unsicheren Fingern über den Oberarm. Er kann ja nicht wissen, dass dort grad kein fruchtbarer Boden für die eigentlich liebevolle Gebärde ist. Im Moment fällt diese Zärtlichkeit auf verbrannte Erde. Ich muss mich unter erstaunlichem Kraftaufwand
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