Wachstumsschmerz
Tage.
Als ich auflege, sieht mich Flo fragend an. »Er hat gesagt, dass wir spinnen und verweichlichte Rotzgören wären. Ein wenig Frost hätte noch niemandem geschadet, wir sollten uns nicht so haben, und was uns überhaupt einfalle, wegen einer solch peinlichen Lappalie anzurufen!«
Flo sieht mich erschrocken an: »Das hat er nicht gesagt!«
»Nein, hat er nicht. Die Mutter-Heizung ist kaputt, aber in spätestens drei Tagen ist alles wieder paletti.«
»Hat er wirklich Mutter-Heizung gesagt?«
»Nein. Aber gemeint.«
»Na dann. Ist ja alles gut.«
»Ja. Und danke. Für nichts!«
Flo rollt die Augen und schaltet den Fernseher ein.
Memo
Herrje, es passiert so viel Wir-Kram in unserer Ich-Wohnung. So viele Erlebnisse, die uns gehören sollten, die deine Entscheidungen oder wenigstens Reaktionen verlangen. Bis Ende des Jahres müssen wir uns für einen neuen Stromanbieter entscheiden. Ich kann dich nicht anrufen und fragen, ob wir teureren Ökostrom oder doch heimlich den billigen Atomstrom wollen.
Irgendwas stimmt mit dem Router nicht, so dass das Internet nur willkürlich funktioniert.
Irgendwer muss dem Nachbarn sagen, dass er seine verdammte Fickerei entweder leiser oder zu angebrachten Zeiten ausüben soll.
Natürlich kann ich all diese Dinge alleine regeln, aber so war das nicht geplant! Dies sollten unsere ersten gemeinsamen Probleme und Erwachsenen-Entscheidungen werden. Wir sollten zusammen im Bett liegen und uns beraten. Du würdest erst alle Krisen und ihre möglichen Lösungen googeln, und dann wüssten wir, bis wann man in einem Mietshaus laut Sex haben darf, wie fies Atomstrom wirklich ist und was mit dem verfickten Router los ist, und du solltest dein imaginäres Clipboard dabeihaben und bei jedem »Check!« ein Häkchen in die Luft machen, und dann würden wir abklatschen, was wir nie in der Öffentlichkeit, sondern immer nur heimlich machen, und dann wären wir das lässigste Paar der Welt.
Ohne dich hingegen bin ich nur einmeterfünfundsechzig dünnhäutiger Mensch in einer zu großen Wohnung.
I ch fange an, merkwürdig zu werden.
Die Situation zu Hause wird immer einengender, was ganz sicher mehr auf meine Empfindlichkeit zurückzuführen ist als auf eine tatsächliche und mutwillig ausgeführte Einengung von Flo, dennoch verheddere ich mich immer mehr in imaginären Seilen.
Und auch Flo scheint in seinen eigenen Seilen zu hängen, wir schleichen, jeder für sich festgebunden, umeinander herum. Versuchen, den anderen nicht zu berühren, nicht zu verletzen, und reißen uns dabei schlimmere Wunden ins empfindliche Fleisch, als eine echte Auseinandersetzung es je tun könnte. Wir sind so vorsichtig miteinander, dass jegliche Normalität auf der Strecke bleibt. Wir benehmen uns, als hätte der jeweils andere eine unheilbare Krebserkrankung, die es nicht zu erwähnen gilt. Eine permanente Intensivstationsatmosphäre. Eine Umgebung, in der Gesunden theoretisch und technisch bestens vorbereitet, emotional aber vollkommen unmöglich ist.
Die Normalität, die wir dringend brauchen, spielen wir uns vor. Weil wir es nicht besser wissen. Wollen, ja. Aber wissen, nein. Also sehen wir zusammen fern, lesen vor dem Einschlafen, gehen essen und reden über den Tag.
Wir sind weiterhin ein
Wir
. Wenngleich ein gespieltes. Wir leben unsere Tage nach einer aus schlechtem Fernsehen abgeschauten Choreographie. Wir tanzen nicht mehr zu Krug, sondern zu fremder Leute Leben.
Ich räume die Spülmaschine ein, Flo räumt sie aus. Ich kaufe ein, Flo bringt den Müll runter. Ich räume auf, er putzt. Ich wasche die Wäsche und hänge sie auf, Flo hängt sie ab und räumt sie ein.
Wenn er wiederholt meine Kleidung falsch einräumt und ich sie daher nicht wiederfinde, drehe ich durch.
»Weshalb muss es immer eine verfickte Schnitzeljagd sein, wenn ich meinen Kram suche? Wenn du nicht weißt, wohin was kommt, weshalb fragst du mich nicht? Jedes Mal der gleiche Kack!«
Ich höre Fleisch aufplatzen und Blut strömen. Aber ich drehe mich einfach weg von dem Gemetzel. Zu schwach, meinen Fehler einzugestehen. Wissen ja eh alle Beteiligten, dass ich falsch reagiere. Wenn Flo seinen Schmerz darüber nicht mitteilt, weshalb sollte ich ihn dann lindern?
» F lo ist nicht für dein Glück zuständig.«
Ein typischer Jana-Satz.
»Ist er nicht? Wer dann?«, frage ich, um sie zu ärgern.
»Im Ernst, wenn du mit dem ganzen Zusammenlebendings unglücklich bist, ist nicht automatisch Flo schuld.«
»Ich habe kein
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