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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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verhältnismäßig viel Geld (das sie meist gar nicht haben) etwas schneidern zu lassen, das zumindest theoretisch für die Ewigkeit gemacht ist. Maßanfertigungen sind im ärgsten Fall sogar kontraproduktiv, schließlich ist ein Markenbewusstsein (zumindest in den besser betuchten Kreisen der Modepeople) der ganze Spaß an der Sache. Und solange ich keine eigenen Kollektionen mache und nicht Alexander McQueen bin, gilt mein Kram nicht als Marke.
     
    Womit ich beim nächsten Dilemma bin: die Frage der eigenen Kollektion. Weshalb scheint das so logisch zu sein? Wieso kommen die meisten Menschen beim Nachdenken darüber, was eine gelernte Schneiderin so machen könnte, um ein wenig auf der Karriereleiter zu tänzeln, immer zuerst auf den Gedanken einer eigenen Kollektion? Weil ich nähen kann? Ist der Superlativ von Nähen »Kollektion« (eigene)? Warum wird unter diesen Umständen dann nicht auch Metzgern die Chirurgie nahegelegt? Oder Malern und Lackierern die Bildende Kunst? Sieht denn niemand, dass es eine tiefe, nicht durch eine natürlich gewachsene Brücke zu überwindende Kluft zwischen Handwerk und Kreativität gibt? Mein Meisterbrief bescheinigt mir, dass ich nähen kann. Das bedeutet nicht, dass mir wie Karl Lagerfeld ganze Kollektionen im Traum erscheinen (wirklich, Karl?), die ich dann morgens nur noch aufzeichnen muss. Und wissen die ganzen Menschen eigentlich, dass Kollektionen im billigeren Ausland genäht werden? Dass Lagerfeld nicht selbst an der Maschine sitzt? Dass ich also im Prinzip, nur mal angenommen, mich würde irgendeine besoffene Muse im Schlaf versehentlich küssen, von diesem Moment an arbeitslos wäre? Eine vollkommen umsonst ausgebildete Schneiderin. Mit einer eigenen Kollektion.
     
    Was bleibt also noch? Ah, das Theater! Wie glänzend Papas Augen wurden, als er mich im Geiste bedeutende Stücke ausstatten sah. Nun, so abwegig ist das gar nicht. Die Mädels in unserem Laden rennen dauernd mit aufwendigen Rokokoreifröcken oder metallfarbenen Ganzkörperanzügen in den Armen durch die Gegend. Ich habe häufig, wenn grad keine alten Männer Anzüge brauchten, mitgeholfen. Aber das Theater zahlt schlecht und kommt immer schubweise um die Ecke. Das Theater will innerhalb kürzester Zeit wahnsinnig viel, und das gern wahnsinnig schnell. Unterm Strich bedeutet das noch weniger Geld, vor allem aber viel weniger Qualität. Kostüme für die Bühne sind im Allgemeinen viel weniger detail- und handarbeitsverliebt, als mir lieb ist. Und ich möchte gar nicht so dringend schöne Menschen verkleiden, sondern die charmant verwachsenen und ein wenig buckligen gut aussehen lassen.
     
    Womit ich also genau wieder da ankomme, wo ich bereits bin. Eigentlich habe ich den perfekten Job. Was zu beweisen war.
     
     
    (Weshalb zwickt es dennoch überall?)

U nsere Heizung funktioniert nicht. Im September war das okay, da er und wir milde gestimmt waren, aber jetzt ist Oktober, und unsere Geduld hat sich mit dem Vormonat verabschiedet.
    A us dem Internet wissen wir, dass die offizielle Heizperiode im Oktober beginnt, es sei denn, die Außentemperaturen sinken drei Nächte lang hintereinander unter acht Grad Celsius.
    »Woher sollen wir denn wissen, wann es unter acht Grad sind draußen?«, frage ich.
    »Außenthermometer«, sagt der schlaue Flo.
    »Schon klar, aber wenn man keines hat?«
    »Eins kaufen.«
    »Danke. Du bist sehr hilfreich. Wir sollten einfach mal da anrufen.«
    »Wo? Beim Vermieter?«
    »Ja.«
    »Und sagen, dass uns kalt ist?«
    »Ja!«
    Flo runzelt die Stirn. »Es ist ja erst seit ein paar Tagen Oktober. Vielleicht sollten wir einfach noch ein wenig warten«, schlägt er vor. Mein Prinz in schimmernder Rüstung.
    »Und wer als Erster ’ne Blasenentzündung hat, ruft an?«
    »So schlimm ist es ja nicht.«
    »Doch. Es ist kalt. Schon länger, als es Oktober ist. Komm, ruf da an!«
    »Ich weiß nicht …«, sagt Flo zögerlich.
    »Natürlich weißt du nicht!«, blaffe ich ihn an und stehe auf, um das Telefon zu holen. Es meldet sich eine freundliche Frau, die mir die Nummer vom Hausmeister gibt. Auch der meldet sich umgehend am Handy. Nachdem ich das Problem geschildert habe, erklärt er mir, dass sich andere Mieter bereits gemeldet hätten (in diesem Moment stecke ich Flo die Zunge raus) und dass es ein Problem mit der Mutter-Heizung im Keller gäbe. Man arbeite fieberhaft daran, könne sich nur ausdrücklich entschuldigen und verspricht die Behebung des Problems innerhalb der nächsten drei

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