Wachstumsschmerz
wird gestreichelt. Selbst unter widrigsten Umständen finden wir uns innerhalb von Sekunden, unsere Körper rutschen ineinander und rasten innerhalb kürzester Zeit leise ein.
Ich war nie mit irgendwem auf diese Art so körperlich wie mit Flo. Sollten wir jemals wieder andere Menschen so nah an uns heranlassen, werden sie und wir unsere Probleme damit haben. Dass uns diese so intime Fähigkeit über die letzten Monate nicht abhandengekommen ist, erstaunt mich manchmal. Und tröstet gleichermaßen. Solange das noch funktioniert, kann ja nicht alles verkehrt sein.
»Manchmal muss ich tatsächlich an die Schabracke denken. Es war herzlos, sie einfach vor die Tür zu stellen. Wer weiß, unter wessen Arsch sich die arme Wurst jetzt befindet.«
Flo kaut nachdenklich an einem Lakritz-Pinguin und sieht auf den Fernseher, indem ein wie immer öder »Tatort« läuft.
»›Tatort‹ ist immer scheiße«, sage ich. Eher zu mir als zu Flo.
»Stimmt nicht.«
»Stimmt doch. Und komm mir jetzt nicht wieder damit, dass es ganz auf die Stadt ankommt. Ich hab noch nicht einen einzigen wirklich guten ›Tatort‹ gesehen.«
»Weil du dich weigerst, ihn gut zu finden. Du lässt dich nicht darauf ein.«
»Du schläfst spätestens im letzten Drittel ein. Immer. Also erzähl mir nicht, dass ich mich nicht genug einlasse. ›Tatort‹ kucken ist blöder Yuppie-Kult-Konsens. Den kuckt man aus fragwürdigen und vor allem ironischen Coolnessgründen. Nicht weil er gut ist.«
Flo rollt die Augen und schweigt. Im Fernsehen sitzt Jeanette Biedermann zusammen mit anderen angesagten Musikern wie zufällig verstreut in einer Hotellobby und jamt ein bisschen mit einer Akustikgitarre vor sich hin. Schließlich findet gleich ein »Konzert gegen Rechts« statt, da kann man schon mal in der Bar des »Marriots« sitzen und sich ein wenig warmspielen. Macht man ja so. Die alten Popkultur-Haudegen vom »Tatort«. Unglaublich.
»Wenn du mich fragst, ist Jeanette die Mörderin. Oder der eine Niedliche von ›Revolverheld‹.«
»Wollen wir was anderes sehen?«, fragt Flo.
»Nein. Denn der Münsteraner ›Tatort‹ ist echt der Beste!«
Flo rappelt sich stöhnend auf und verlässt genervt unsere Umarmung und kappt damit eine letzte papierene Verbindung: »Das ist der Bremer ›Tatort‹.«
»Echt der Beste!«, wiederhole ich und höre ein leises Reißen. Als ob man noch farbfeuchtes Kreppband von einer frisch gestrichenen Wand abzieht.
Später im Bett funktioniert der körperliche Magnetismus endgültig nicht mehr. Zumindest der anziehende Teil nicht. Wie zwei nun plötzlich gleichgepolte Magnete stoßen wir einander ab. Wir versuchen gar nicht erst, in den Tanzbereich des anderen zu gelangen, wohl wissend, dass wir uns mit einem physikalisch unüberwindbaren Hindernis anlegen würden. Man versucht sich ja schließlich auch spätestens seit dem Energieerhaltungssatz nicht mehr an einem Perpetuum mobile.
Also liegen wir, von Mutter Physik höchstpersönlich getrennt, in unserem riesigen Bett und versuchen mit letzter Kraft, irgendwie diesen Tag noch schnell und ohne weitere Schäden in den sicheren Hafen zu führen. Und während Flo in seinem Buch liest, liege ich auf dem Rücken, starre den falschen Baumarktstuck an der Decke an und steuere und steuere, und obwohl der Hafen schon zu sehen ist, kann ich das Ruder nicht mehr halten, auf einmal stürmt es so sehr, und ich sehe zu Flo rüber, ob er das auch merkt, aber der blättert einfach nur seine Seiten um, und ich schaue wieder an die Decke, und meine Augen füllen sich so schnell mit Tränen, dass ich kurz fürchte, blind geworden zu sein, und dann lasse ich das Ruder eben los.
Memo
Wie ich dich liebe, wenn du grinst. Wenn sich dein Gesicht auf einen Schlag ganz weit öffnet und deine schönen Wimpern Licht in deine Augen lassen und alles um deinen Kopf herum merkwürdig zu flimmern scheint. Ich habe noch nie so viel Freundlichkeit und Wärme in einem Gesicht gesehen wie in deinem, wenn du lächelst. Es macht mich jedes Mal ganz sprachlos. Jedes Mal wie ein kleiner Tritt in den Magen. Ein schöner Tritt. Kann man das so sagen? Dein Lächeln ist wie ein schöner Tritt in den Magen. Es nimmt mir den Atem. Kurz und schmerzhaft.
M ich verlässt jegliche Kraft. Als ich das Ruder loslasse, strömt sämtliche Energie aus mir. Ich hebe meine Hände und starre meine Finger an, in der sicheren Erwartung trauriger Bäche, die aus meinen Fingerspitzen fließen. Und obwohl ich natürlich nichts
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