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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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in den Ästen und dem dichten Blattwerk tummelte, Leben, das nun seinen alltäglichen Gang unterbrach, um ihn zu begrüßen.
    Unwillkürlich hielt Andion den Atem an, als eine Vielzahl leiser Stimmchen rings um ihn anhob und seinen Namen sang. Wie in Trance ging er ein paar Schritte weiter bis zur Mitte der Lichtung, und kaum war er dort angekommen, stiegen überall um ihn Blütenfeen aus den bunten Kelchen der Blumen. Ihre ätherischen Flügel fingen das Licht der Sonne ein, glitzerten wie geschliffene Diamanten, und ihre zarten, kaum fingerlangen Körper tanzten wie schillernde Schmetterlinge vor ihm in der Luft, wirbelten in ausgelassenen Pirouetten und Spiralen um ihn herum, so dicht, dass er nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um sie berühren zu können.
    Sylphen, kaum größer als die Blütenfeen, schlossen sich dem munteren Reigen an, und am Waldrand streckten Dryaden ihre knorrigen Gesichter neugierig aus den Schatten und musterten Andion mit sanftmütigen Augen.
    Leichter Wind kam auf, lief wie eine konzentrische Welle über das Gras und ließ die Blätter rascheln und die Wipfel der Eichen und Tannen rauschen, und wohin er auch blickte, sah er, wie sich uralte Gesichter knarrend aus der Rinde der Bäume hoben und mit einem gütigen Lächeln auf ihren borkigen Lippen zu ihm herüberschauten. Die Nachricht von seiner Ankunft schien sich wie ein Lauffeuer im ganzen Wald zu verbreiten, denn immer mehr der kleinen Wesen strömten herbei, um ihn mit fröhlichem Geschnatter in ihrer Mitte willkommen zu heißen. Manche waren so schnell, dass er ihren Bewegungen nicht mit den Augen folgen konnte, andere so graziös und bedächtig wie Nebelschleier, die an einem windstillen Morgen über einer taufeuchten Wiese schweben. Andion betrachtete sie alle mit atemlosem Staunen, kaum fähig zu fühlen, kaum fähig zu begreifen.
    Irgendwann mischte sich ein neuer Ton in das Kaleidoskop der Farben, das ihn umgab. Zwischen den roten, grünen, gelben, blauen und orangenen Leibern der Blütenfeen tauchte ein goldener Schimmer auf. Er erhob sich aus dem Blumenmeer, langsam und majestätisch wie die Morgensonne, die nach der Dunkelheit der Nacht die Kelche der Blüten zu neuem Leben erweckt, und stieg ohne Eile weiter empor, ein funkelnder Stern, der mit jeder Sekunde, die verstrich, heller und prachtvoller zu strahlen schien.
    Auf der Höhe seines Gesichts trat das kleine, goldene Wesen wie selbstverständlich aus dem Reigen der anderen hervor. Es war ebenfalls eine Blütenfee, und doch war ihr Anblick so lieblich, war ihre Gestalt von so unvergleichlicher Zartheit und Anmut, dass Andion unwillkürlich Tränen in die Augen stiegen. Er wusste sofort, ohne dass es ihm irgendjemand hätte sagen müssen, wen er vor sich hatte. Dieses unendlich fragile, ätherische Wesen, das da vor ihm in der Luft schwebte, war nichts anderes als die Königin aller Blütenfeen – und sie war gekommen, um ihn zu sehen.
    Andion erschauerte, als der Blick ihrer goldenen Augen ihn traf und bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele hinabzureichen schien. Die Welt versank im rasenden Hämmern seines Herzens und dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren, und ihm war, als werde er von einer sanften Hand berührt und behutsam aus der Finsternis ins Licht gehoben – in ein Licht, das keine Lügen und keine Täuschung, keinen Selbstbetrug und keine fadenscheinigen Ausflüchte kannte, in dessen samtener Wärme alles Hässliche und alle düsteren Schatten, die ihn so lange gequält hatten, plötzlich ihre Bedeutung verloren. Für einen unendlichen, seligen Moment fühlte er sich heil, spürte er, wie alle Teile seiner Seele an ihren richtigen Platz rückten, wie das Gewicht seiner Versäumnisse und Verfehlungen, seines Egoismus und seiner Gedankenlosigkeiten, derer er sich in seinem Leben schuldig gemacht, ebenso wie das des Guten, das er jemals für andere getan hatte, im gütigen Blick dieser uralten Augen gewogen – und er für würdig befunden wurde.
    Mit zugeschnürter Kehle und am ganzen Körper zitternd verfolgte er, wie die Königin der Blütenfeen noch näher an ihn heranschwebte, sich lächelnd nach vorne beugte – und ihm einen sanften Kuss auf die Stirn gab. Andion schluchzte auf. Seine schlotternden Beine versagten ihm endgültig ihren Dienst, und er sank in die Knie, presste seine bebenden Hände ins warme, weiche Gras der Lichtung, um nicht vollends zu Boden zu stürzen. Seine Ängste und Entbehrungen, seine Albträume, die ihn Nacht für Nacht

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