Wächter des Elfenhains (German Edition)
unaufgefordert das Wort ergriff.
„Bitte zürnt Maifell nicht. Sie ist noch so jung und musste doch schon so viel Schmerz erdulden.“
„Schmerz haben wir alle genug erfahren müssen“, knurrte Tigarain, eine der Letzten, die wie Ogaire noch ein wenig adliges Blut in sich trug. „Und es wird noch mehr Leid über den Hain kommen, wenn noch mehr Elfen beginnen, sich dem Rat zu widersetzen.“
Neanden krümmte sich unter der beißenden Anklage, als habe sie ihm gerade einen Tritt in den Magen versetzt. Wie jeder andere im Raum wusste er nur zu gut, dass Tigarain an Ionosens Ungehorsam erinnert hatte.
„Erlaubt mir, mit ihr zu sprechen. Ich bin sicher, sie hat einfach nur Angst. Sie braucht lediglich etwas Zeit, um gründlich über Eure Bitte nachzudenken.“
Rilcaron seufzte, und sein strenges Antlitz wurde weicher. „Zeit. Zeit schien immer nur ein Problem der Menschen zu sein. Doch heute läuft sie auch uns davon.“
Neanden biss sich auf die Lippe. Insgeheim musste er Maifell recht geben. Zu zweit konnten sie den Untergang ihres Volkes nicht aufhalten, und ebenso wenig wie sie wollte er seine zukünftigen Kinder sterben sehen. Doch ihm stand diese Entscheidung nicht zu, und ihr auch nicht. Sie mussten sich beugen.
Rilcaron spürte natürlich, welche Gedanken ihn bewegten. Er winkte müde mit der Hand. „Geh. Versuche, ihr das klar zu machen.“
Neanden erhob sich hastig und zog sich zurück. Draußen war inzwischen die Sonne aufgegangen, als er mit schweißfeuchten Händen und wummerndem Herzen aus der Versammlungshalle stürzte, aber eine dichte graue Wolkendecke tauchte den Wald dennoch in düsteres Zwielicht, und die Stille im Dorf glich noch immer der der Nacht.
Eilig spähte er umher, konnte Maifell aber nirgends entdecken. Doch er kannte sie gut genug, um zu wissen, wohin sie ging, wenn sie traurig war.
Tatsächlich fand er sie nicht weit entfernt am Ufer des kleinen Weihers, an dem sie als Kinder so oft zusammen gespielt hatten, damals, als die Welt noch hell und licht gewesen war und die Zukunft ein blühender Garten, der nur darauf gewartet hatte, betreten zu werden. Sie fühlte ihn kommen und wandte sich sogleich zu ihm um. Wütend blitzte sie ihn an.
„Versuch es gar nicht erst! Ich werde meine Meinung nicht ändern.“
„Der Rat ...“
„Der Rat kann das nicht für mich entscheiden!“
„Aber die Tradition ...“
„Wach auf, Neanden! Die Tradition wird mit uns sterben, begreifst du das nicht? In ein paar Jahren gibt es nicht mehr genug von uns, um überhaupt noch von einer Gemeinschaft sprechen zu können. Was bedeuten da wohl noch die alten Werte und Überlieferungen?“
Neanden presste die Lippen zusammen. „Wenn wir leichtfertig mit ihnen brechen, wird die Gemeinschaft noch schneller zerfallen“, erwiderte er dumpf.
Maifell lachte bitter. „Glaubst du das wirklich? Dein Vater wusste es besser. Er war der Einzige, der versucht hat, das Unheil aufzuhalten. Er hat getan, was notwendig war, auch wenn er sich dazu dem Rat widersetzen musste.“
Neanden erstarrte. Sie verteidigte seinen Vater? Sie stellte sich auf die Seite des Verräters, obwohl sie wusste, wie schändlich er sie alle im Stich gelassen hatte? Hatte er sich so sehr in Maifell getäuscht? Er knirschte mit den Zähnen.
„Mein Vater wollte bloß Rache üben. Die Gemeinschaft war ihm gleichgültig.“
Maifell schaute ihn beinahe mitleidig an. „Wie kannst du nur so etwas sagen? Du solltest deinen Vater eigentlich besser kennen. Ich war damals noch ein Kind, aber selbst ich habe stets die Rechtschaffenheit und den unbedingten Willen, den Hain und alle in ihm zu beschützen, in ihm gespürt.“
Neanden wandte den Blick von ihr ab, konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Das leidenschaftliche Feuer, das darin leuchtete, schmerzte zu sehr. „Selbst wenn das wahr ist, hat er versagt“, presste er mühsam hervor.
Maifell schüttelte den Kopf; Ungeduld und Ärger wallten erneut in ihr empor, waren wie Nägel aus Eis, die sich in seine Seele bohrten. „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wir wissen nicht mit Sicherheit, was geschehen ist. Eins aber ist gewiss: Seine Chancen auf Erfolg wären erheblich größer gewesen, hätte der Rat ihm nicht seine Unterstützung verweigert und ihn wie einen Aussätzigen behandelt.“
„Der Rat hatte gute Gründe für seine Entscheidung.“
Maifell schnaubte verächtlich. „Tatsächlich? Sie hatten Angst, dass der Kampf gegen Ogaire zu viele Opfer fordern könnte. War
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