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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Finsternis. Gleichzeitig wurde er gepackt und grob auf die Füße gestellt.
    Mit jäh erwachender Furcht kämpfte er gegen die Reste der Benommenheit, versuchte, sich zu wappnen, was auch immer kommen möge, und öffnete die Augen.
    Er starrte direkt in Neandens kaltes, grimmiges Gesicht. Auch ohne Ionosens Warnung hätte er ihn sofort erkannt, denn Neanden besaß die Augen seines Vaters. Doch der Blick dieser Augen enthielt keine Wärme, gab Andion nicht das Gefühl, in die ruhigen, klaren Tiefen eines stillen Bergsees hinabzutauchen. Das Einzige, was ihm entgegenschlug, waren Verachtung und Hass – ein so kalter, tödlicher Hass, dass sich Andion unwillkürlich der Magen zusammenzog.
    Seine Schultern sanken herab. Alles war genauso gekommen, wie Ionosen es vorausgesagt hatte. Aber hatte er auch vorhergesehen, wie nahe Neanden daran gewesen war, ihm mit seiner Magie den Kopf von den Schultern zu reißen?
    Allein der Gedanke an die mörderischen Kräfte, die Neanden gegen ihn entfesselt hatte, ließ ihn innerlich erbeben. Lediglich sein eigener verzweifelter Überlebenswille hatte ihn geschützt, hatte die Mauern zu den Kellergewölben seiner Seele zum Einsturz gebracht und die schlafende Kreatur erweckt, die dahinter verborgen gewesen war. So wie Ionosen es prophezeit hatte, war im Augenblick der größten Gefahr tatsächlich das Erbe seines Vaters in ihm erwacht, hatte sich durch ein instinktives Aufbäumen seines Willens von den Fesseln befreit, die es all die Jahre in der Menschenwelt gefangen gehalten hatten, und war in einer unkontrollierten, wilden Eruption magischer Energie aus ihm hervorgebrochen. Doch obwohl er seine unverhoffte Zauberkraft weder bewusst heraufbeschwören noch in irgendeiner Form gezielt hatte lenken können, hatte sie ihm zweifellos den Hintern gerettet – zumindest kurzzeitig, denn hätte Neanden nicht von ihm abgelassen, hätte es trotz seiner verzweifelten Gegenwehr übel für ihn ausgesehen.
    Andion schlug die Augen nieder, und der Hals wurde ihm eng. Er spürte genau, dass er noch immer am Abgrund stand, dass ein falscher Schritt genügte, um eine Lawine loszutreten, die ihn schließlich doch noch mit in die Tiefe reißen konnte. Der erstickende Brodem aus Feindseligkeit und Abscheu, der von allen Seiten über ihn hinwegschwappte, sprach in dieser Hinsicht leider eine mehr als deutliche Sprache.
    Sie waren alle gekommen, hatten sich schweigend rings um den weitläufigen Platz versammelt, auf den Neanden ihn geschleppt hatte. Das gesamte Dorf, der letzte Rest eines sterbenden Volkes – und alle hassten sie ihn. Er spürte ihr Leid und ihren Schmerz, ihre Bitterkeit und Trauer und ohnmächtige Wut, eine Wut, die nach all den Jahren endlich ein Ziel gefunden hatte – in ihm.
    Doch wie hätte es auch anders sein können? Sie hatten so vieles verloren, hatten so viele Qualen erdulden müssen. Die meisten von ihnen wünschten Ogaire den Tod, und kaum einer würde zwischen ihm und seinem Vater einen Unterschied machen.
    Er konnte es ihnen nicht einmal übel nehmen. Wenn selbst Zwölfjährige nach einem einzigen flüchtigen Blick in seine Augen wieder zu ängstlichen Bettnässern mutierten oder Mütter mit ihrem Kinderwagen hastig die Straßenseite wechselten, wenn er auf dem Weg in den Park oder in die Schule an ihnen vorüberging, wie sollte es da erst jenen ergehen, die um die widerwärtigen Umstände seiner Herkunft wussten? Die die Gräueltaten seines Erzeugers und das unermessliche Leid, das er damit über ein ganzes Volk gebracht hatte, am eigenen Leib zu spüren bekommen hatten? Im Grunde war es ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte, dass sie ihn nicht schon längst in Stücke gehackt und als Futter für die Krähen wieder zurück in die Menschenwelt befördert hatten.
    Mutlos ließ er den Kopf hängen. Wie sehr hatte er sich zum Narren gemacht! Er hatte sich selbst etwas in die Tasche gelogen, hatte allzu bereitwillig seine Augen vor der Wahrheit verschlossen. Dabei hätte er es besser wissen müssen. Denn mochten die Wesen des Kleinen Volkes aus Freude über seine Ankunft auch noch so sehr aus dem Häuschen geraten und ausgelassen das Tanzbein schwingen, die Elfen würden das niemals tun. Er hatte kein Zuhause, weder in der Menschenwelt noch hier im Hain. Es war naiv gewesen, auf etwas anderes zu hoffen.
    Er spürte, wie einer der Elfen langsam näher trat.
    „Sieh mich an!“
    Die schneidende Schärfe des Befehls ließ Andion erschrocken zusammenzucken. Hastig hob er den

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