Wächter des Elfenhains (German Edition)
Kopf – und sah in zwei kalte, glitzernde Augen, deren Blick sich wie die Klinge eines Messers in ihn hineinbohrte.
„Ich bin Rilcaron, der Sprecher des Ältestenrates“, sagte der Elf. Jedes seiner Worte schien die Luft über der Lichtung um ein paar Grad kälter werden zu lassen. „Wir haben die Nachricht der Kafén erhalten.“
Trotz der eisigen Ablehnung, die ihm entgegenschlug, glomm zaghafte Erleichterung in Andion auf. Dann wussten sie also Bescheid. Sie wussten, dass er nichts mit seinem Vater zu tun und dass Ionosen ihn geschickt hatte.
Doch anscheinend war die Botschaft nicht so eindeutig gewesen, wie er gehofft hatte.
„Wieso bist du hier?“, fragte Rilcaron. Sein durchdringender Blick bekam etwas Lauerndes, wie bei einem Raubtier, das regungslos in der Dunkelheit kauert, um im nächsten Moment mit einem einzigen schnellen Biss die Kehle seines ahnungslosen Opfers in Fetzen zu reißen.
Andion schrumpfte unter der bedrohlichen Intensität dieses Blicks ein Stück in sich zusammen. Er räusperte sich, musste zweimal ansetzen, ehe er einen Ton über seine trockenen Lippen brachte. „Der ... der Hain hat mich gerufen.“
„Das wissen wir. Aber wieso bist du hier ?“
Andion starrte in das harte, abweisende Gesicht des Ältesten, und Kummer und Bitterkeit gruben sich in sein Herz. So sehr verachteten sie ihn? So sehr wünschten sie seinen Tod, dass sie lieber dabei zusahen, wie er mit blutigen Fäusten gegen ihre Mauern hämmerte, bis auch der letzte Rest von Leben unwiderruflich aus ihm herausgesickert war, als dass sie ihre Tore für ihn öffneten und ihn für ein paar wenige kostbare Augenblicke zu sich in die Wärme ihres Feuers holten, ehe sie ihn wieder hinaus in die Dunkelheit jagten?
Verzweifelt suchte er nach Worten, nach irgend etwas, was er Rilcarons grimmiger Anklage entgegenzusetzen vermochte, doch er fand nichts. Vielleicht hatte er auch gar nicht das Recht dazu. „Es tut mir leid“, sagte er dumpf. „Ich hätte niemals herkommen sollen.“
Rilcarons Braue ging steil in die Höhe. „Dafür, dass du es nicht hättest tun sollen, hattest du es aber ziemlich eilig damit. Das scheint mir ein bemerkenswerter Sinneswandel für so eine kurze Zeit, findest du nicht?“ Seine Augen wurden schmal. „Wie lange hast du in diesem Park auf der Lauer gelegen, bis sich endlich ein Durchgang geöffnet hat? Wochen? Monate? Wie lange hast du diesen Tag geplant? Warum gibst du nicht zu, dass du nur deshalb so schnell auf den Ruf reagiert hast, damit wir nicht erkennen konnten, wer gerufen wird? Damit uns keine Zeit blieb zu entscheiden, ob wir dir Einlass gewähren wollen oder nicht?“
Andion fand nicht einmal die Kraft, zu erschrecken oder Furcht zu empfinden. Müde schüttelte er den Kopf. „Nein. So war es nicht. Ich bin dem Ruf deshalb so schnell gefolgt, damit Ogaire mir nicht vor der Grenze zum Hain auflauern konnte. Außerdem meinte Ionosen, ich hätte nicht viel Zeit.“
„Tatsächlich? Ich weiß ja nicht, was Ionosen dir erzählt hat, aber ein Elf deines Alters kann durchaus einige Wochen lang dem Ruf des Hains widerstehen, ohne dass er sich schreiend vor Qual am Boden krümmt.“
Andion blinzelte verwirrt. „Das ... das verstehe ich nicht! Mir sagte er, ich dürfte nicht bis zum nächsten Morgen warten!“
Ein Raunen ging durch die Menge, und auch Rilcaron runzelte die Stirn.
„Wie alt bist du? In Menschenjahren!“
„Siebzehn.“
Das Raunen wurde noch lauter. Andion wagte es, kurz den Kopf zu drehen und mit klopfendem Herzen in die Runde zu spähen. Sein Blick blieb an Neanden hängen. Ionosens Sohn sah nicht älter aus als zwanzig, doch er hatte schon gelebt, als Ionosen den Hain vor neunzig Jahren verlassen hatte.
Da begriff er. Offenbar hatten die Elfen geglaubt, dass sich Ogaire sofort, nachdem er in die Menschenwelt gekommen war, eine Frau genommen und mit dieser ein Kind gezeugt hatte. Sie schienen tatsächlich überzeugt gewesen zu sein, einen beinahe 90jährigen vor sich zu haben! Das allerdings bedeutete, dass er, gemessen an den Maßstäben eines Elfen, vermutlich noch immer kaum mehr war als ein Kleinkind, das noch ein paar Augenblicke zuvor selbstvergessen mit seinen Plastikförmchen im Sandkasten herumgekrabbelt war und gerade erst damit begonnen hatte, auf seinen eigenen, unsicheren Beinchen die Wunder und Geheimnisse der Welt zu erkunden, das noch nichts wusste von dem Leid und dem Schmerz und den finsteren Kreaturen, die nur darauf warteten, es zu packen
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