Wächter des Elfenhains (German Edition)
allem, was er unserem Volk angetan hat, seinem Menschenbastard den heiligen Namen zu geben? Will er uns verhöhnen?“
Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Fäuste wurden geballt, Lippen voll grimmiger Wut aufeinandergepresst.
Neanden wünschte, er könnte einfach gehen, wünschte, er müsste seine nächsten Worte nicht aussprechen. Doch das war unmöglich. Die Kafén, die er noch immer umklammert hielt, schien sich plötzlich wie ein Stück glühende Kohle in sein Fleisch zu brennen, verhöhnte ihn mit der Aura der Sanftmut und Geborgenheit, die warm in seine Seele strömte.
Er räusperte sich, musste zweimal ansetzen, ehe es ihm gelang, die Worte über seine Lippen zu zwingen. „Er sagte, mein Vater ... habe ihn geschickt.“
Rilcaron sah ruckartig zu ihm hin. „Ionosen? Dieser Junge hatte Kontakt zu Ionosen?“
Neanden nickte steif. „So scheint es.“ Widerwillig zwang er seine Faust, die die Kafén umschloss, sich zu öffnen.
„Eine Botschaft deines Vaters?“, fragte Rilcaron überrascht.
Neanden wünschte, die Blicke der anderen wären nicht so fragend, nicht so zweifelnd, wären nicht so sehr ein Spiegel seiner eigenen Gefühle. Was, bei allen Bäumen, hatte sein Vater mit Ogaires Sohn zu schaffen? Er nickte stumm.
Tigarain machte eine knappe Handbewegung. „Öffne die Kafén! Lass uns die Botschaft hören.“
Neanden schloss die Augen, fokussierte seinen Willen und ließ einen winzigen Hauch seiner Magie in das kleine, silberne Plättchen strömen. Mehr brauchte es nicht, um die versiegelte Botschaft seines Vaters erkennen zu lassen, dass sie in die richtigen Hände gelangt war. Augenblicklich konnte er Ionosens Nähe spüren, fühlte die sanfte Berührung seiner gütigen Präsenz und wusste, dass alle um ihn herum in diesem Moment das gleiche empfanden. So erfuhren sie, dass Ogaires Sohn seinen Vater niemals gesehen hatte, dass seine Mutter noch vor seiner Geburt von Ionosen aus Ogaires widerwärtigen Klauen befreit worden war, bevor sie das gleiche Schicksal erleiden konnte wie Isirada, Ionosens Schwester. Sie erfuhren, wie Ionosen das Kind Jahr um Jahr vor Ogaire versteckt und es aufgezogen hatte. Gleichzeitig bat er sie um Vergebung für seinen scheinbaren Verrat und beendete seine Botschaft mit einer eindringlichen Bitte: Sie sollten diesen Jungen, auch wenn er Ogaires Sohn war, behüten und beschützen wie einen der ihren, denn nicht ohne Grund habe er ihm den Namen Andion gegeben. Dieser Andion, so behauptete er, sei der Schlüssel zum Überleben des Hains und der Elfen selbst, und er werde dereinst vollbringen, wozu kein anderer jemals zuvor in der Lage gewesen sei.
Natürlich verriet Ionosen nicht, was genau das sein sollte. Kein Prophet hatte jemals eine positive Vision mit anderen geteilt. Böses wurde vereitelt, indem man es aussprach, doch Gutes könnte ebenso verhindert werden, wenn zu viele davon wussten und man es allzu angestrengt herbeizuzwingen versuchte.
Aber obwohl Neanden das wusste - obwohl sie alle es wussten -, brachten Ionosens Worte keine Erleichterung, grub sich der Dorn des Zweifels nur noch tiefer in ihre Herzen.
Gairevel war es, der schließlich aussprach, was alle dachten. „Wie sollte uns ausgerechnet ein Menschenbastard helfen können? Die Menschen sind nicht einmal in der Lage, ihre eigene Welt zu retten, wie sollte es ihnen da mit der unseren gelingen? Das Einzige, was sie können, ist zerstören!“
Neanden senkte den Kopf. Früher hätte er Gairevels zorniger Anklage vielleicht widersprochen, hätte seinen Vater und das, woran er glaubte, verteidigt. Doch das war gewesen, bevor Ionosen sich gegen den Rat gestellt hatte. Die anderen waren zu recht skeptisch. Wer konnte noch einem Propheten glauben, der schon einmal sein Volk verraten hatte?
Rilcaron atmete tief durch. „Er wird die Gelegenheit bekommen, sich zu äußern. Es wird sich zeigen, wie stark das Blut der Elfen tatsächlich in seinen Adern fließt. Erst danach werden wir über sein Schicksal befinden.“
Die anderen Ratsmitglieder stimmten Rilcarons Entscheidung zu, und Neanden war froh, die Entschlossenheit in ihren Herzen zu spüren. Dieses Mal würde sich niemand täuschen lassen. Die Gefühle der Ältesten ließen in dieser Hinsicht keinerlei Zweifel zu. Sollte der Junge sich als Gefahr erweisen - sollte auch nur die geringste Möglichkeit bestehen, dass er eine sein könnte -, würde er sterben.
Es wurde Maifell übertragen, ihren seltsamen Gefangenen aus seiner Bewusstlosigkeit zu
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