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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Anlass dafür liefern.
    Rilcaron ignorierte die düsteren Wolken aus Wut, Hass und Furcht, die sie auf ihrem Weg begleiteten. Erst als sie den Rand des Dorfes erreicht hatten, richtete er erneut das Wort an ihn.
    „Dies ist das Ziel.“
    Er zog einen kleinen, runden Gegenstand aus seiner Kleidung hervor, kaum fünf Zentimeter im Durchmesser und nicht mehr als fünf oder sechs Millimeter dick. Er sah ein wenig wie eine Münze aus, war jedoch aus Holz geschnitzt und auf beiden Seiten mit filigranen, bunten Symbolen verziert.
    „Ziel?“, fragte Andion verwirrt.
    Rilcaron winkte einem anderen Elfen. Der kam rasch herbei und drückte Andion einen riesigen, elegant geschwungenen Langbogen in die Hand, dazu einen einzelnen Pfeil.
    Ein anderer Elf nahm derweil die kleine, hölzerne Scheibe und trug sie in den Wald. Bereits nach wenigen Sekunden war er so vollständig mit den Schatten der mächtigen Bäume und dem dichten Blattwerk der Büsche und Sträucher verschmolzen, dass Andion weder von ihm, geschweige denn noch etwas von seinem Ziel im dunstigen Licht des Morgens zu entdecken vermochte.
    „Du hast einen Versuch“, sagte Rilcaron.
    Andion starrte ihn entsetzt an. Das war verrückt! Abgesehen davon, dass er noch niemals in seinem Leben einen Bogen in der Hand gehalten hatte – wie sollte er ein Ziel treffen, dass er nicht einmal sehen konnte? Wollten sie sich über ihn lustig machen? Oder – der Gedanke ließ sein Herz unvermittelt schneller schlagen – war es eine Falle, und bestand der eigentliche Test in Wirklichkeit darin, dass sie beobachteten, wie lange er ihre erniedrigenden Spielchen mitspielte, ohne aufzubegehren, ohne ihnen mit stolz erhobenem Haupt ihren Bogen und den Pfeil vor die Füße zu werfen und sich aufrecht und in Würde ihrem Richtspruch zu beugen, wie immer sie auch glaubten, über sein weiteres Schicksal entscheiden zu müssen?
    Aber natürlich ergab es auf eine qualvolle Weise Sinn, denn allein mit seinen menschlichen Fähigkeiten würde er niemals vollbringen können, was sie von ihm verlangten. Was ihn sogleich zu einem weiteren Problem brachte.
    Er atmete tief durch und versuchte, Rilcaron nicht das gesamte Ausmaß seiner Sorge und seiner Selbstzweifel spüren zu lassen.
    „Ich warte besser, bis Euer Mann wieder zurück ist. Ich ... möchte ihn nicht aus Versehen mit meinem Pfeil verletzen.“
    Rilcaron betrachtete ihn einen Moment lang nachdenklich, dann schüttelte er den Kopf.
    „Das wirst du nicht. Kein Elf könnte mit einem Pfeil jemals einen anderen Elfen verletzen. Die Sylphen würden das niemals zulassen.“
    Andion sog scharf Luft ein, als er begriff. Natürlich würden sie das nicht zulassen. Und ebenso wenig würde ein Elf mithilfe der Sylphen jemals sein Ziel verfehlen. Das war es also! Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, als unvermittelt neue Hoffnung in ihm erwachte. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren, vielleicht bestand noch immer die Möglichkeit, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden und mit heiler Haut aus der ganzen Sache herauszukommen. Denn hatten die Wesen des Kleinen Volkes nicht schon längst mehr als deutlich gezeigt, welche Gefühle sie für ihn hegten und wie groß die Bedrohung war, die sie in ihm sahen? Selbst wenn die Elfen dieser offenen Sympathiebekundung der Sylphen und Blütenfeen noch nicht recht über den Weg zu trauen schienen, sah das Ganze möglicherweise anders aus, wenn er anfing, mit einer Waffe herumzuhantieren, mit dem er jedem Bewohner des Waldes ohne Weiteres das Lebenslicht auszublasen vermochte. Niemals würden die Geister des Windes einem gewöhnlichen Menschen dabei helfen, einen tödlichen Pfeil in die Kehle eines Elfen oder den wehrlosen Stamm eines Baumes zu lenken, und ebenso wenig würden sie es vermutlich tun, wenn sie auch nur den winzigsten Hauch von der Verderbnis seines Vaters in ihm entdeckten. Wahrscheinlich würde es nicht die letzten Zweifel ausräumen, ob er nicht doch mit einem teuflischen Zauber ihre Gefühle und ihre Wahrnehmung täuschte, so wie Ogaire es so viele Jahre lang getan hatte, aber vielleicht reichte es, dass er die nächsten Minuten überstand, ohne von einer Meute hasserfüllter Elfen in Stücke gehackt oder mit dem Kopf voran von der nächsten Eiche geworfen zu werden.
    Noch einmal atmete er tief durch, dann fasste er sich ein Herz. Langsam, beinahe behutsam hob er den Bogen und strich prüfend mit dem Finger über die Sehne, ehe er sie vorsichtig zwischen Daumen und

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