Waechter des Labyrinths
anerkannten Institutionen und Autoritäten, besonders alles Selbstgefällige und Selbstgerechte. Er wurde katholisch erzogen, aber natürlich wandte er sich später gegen die Kirche. Allerdings konnte er sich nicht so einfach davon lösen wie die meisten abtrünnigen Katholiken. Er wollte Wiedergutmachung.» Ein Stück weiter die Straße hinunter hielt ein Wagen an. Die Türen gingen auf und wurden wieder geschlossen. Knox spitzte die Ohren, während Franklin sprach, und fragte sich, ob Nergadse es irgendwie geschafft haben könnte, ihn hier aufzuspüren. «Er war besessen von der Absurdität des Glaubens. Religionen zu verspotten war fast ein Hobby von ihm. Deswegen war er auch so von Eleusis fasziniert. All diese brillanten Griechen, die davon überzeugt waren, hier etwas Göttlichem und Übersinnlichem begegnet zu sein. Petitier dachte, wenn er herausfinden würde, was genau das war, könnte er den Feiern das ganze Mystische nehmen und so den Glauben an sich entlarven.»
«Und?»
«Er hatte den Text bereits geschrieben, als er noch in Frankreich lehrte, aber die Magazine wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben, er war einfach zu schwierig.» Franklin beugte sich vor und klopfte etwas Asche ab. «Aber gegen mich hatten sie nichts, deshalb habe ich seinen Text vorgelegt. Ein ziemlich unlauteres Vorgehen, zugegeben, aber damals war ich in der Stimmung für so etwas. Der Artikel hat die griechischen Mysterien und im Grunde jede etablierte westliche Religion auf eine Substanz namens Mutterkorn zurückgeführt.»
«Mutterkorn?», meinte Knox stirnrunzelnd.
«Ein in der Natur vorkommender parasitärer Pilz, den man manchmal in Gräsern und Getreide findet», erklärte Franklin. «Um es für unseren Fall etwas genauer auszudrücken, ein Vorläufer von Lysergsäurediäthylamid.»
«Sie meinen doch nicht …»
«Doch», sagte Franklin lächelnd. «LSD.»
II
Das Riechsalz, das man ihr unter die Nase hielt, brachte Nadja wieder zu Bewusstsein. Sie versuchte die Augen zu öffnen, doch sie schienen zugeklebt zu sein, sodass sie ruhig blieb, obwohl jede Faser ihrer Körpers wieder erwachte. Sie saß auf einem harten Stuhl. Ihre Knöchel hatte man an die Stuhlbeine, ihre Handgelenke an die Streben der Rückenlehne gefesselt. Die Knoten waren so fest, dass ihre Finger und Zehen kribbelten und ihre Gelenke schmerzten. Ein Knebel schnitt ihr in die Lippen und ins Zahnfleisch. Ihr Hals war steif geworden. Plötzlich kam Panik in ihr auf, und sie begann, an den Fesseln zu zerren.
«Beruhigen Sie sich», brummte ein Mann auf Georgisch. «Wie soll ich denn diese verdammten Dinger lösen, wenn Sie nicht stillhalten?»
Sie atmete durch die Nase ein und versuchte, sich zurückzuhalten. Zur Gegenwehr würde sie noch kommen.
«So ist es besser», sagte der Mann, während er die Knoten etwas lockerte und dann den Knebel entfernte. «Schreien Sie, wenn Sie wollen. Niemand wird Sie hören, und ich werde einfach den Knebel wieder anlegen.»
Sie fuhr sich mit der Zunge über die wunden Lippen und bewegte den Kiefer. «Ich werde nicht schreien», versicherte sie ihm.
«Gut.» Als Nächstes riss er mit einem Ruck das Klebeband über ihren Augen ab. Ihre Augenbrauen brannten und pochten. Sie blinzelte ein paarmal, bis sie wieder klar sehen konnte. Vor ihr stand niemand, sie schaute nur auf ein Doppelbett mit einer roten Plüschdecke, dahinter eine Frisierkommode aus Mahagoni mit einem dreiteiligen Spiegel, auf der eine Wasserflasche und zwei Gläser, eine Schale mit Bonbons und eine Vase mit bemalten Holzblumen stand.
In einem der Spiegel konnte sie etwas vorbeihuschen sehen. Hinter ihr wurde eine Tür geöffnet und dann wieder geschlossen, sodass sie den Eindruck hatte, allein zu sein. Als sie ihren Kopf so weit wie möglich drehte, sah sie rechts ein Badezimmer, links eine Balkontür und durch die Lücke in den Vorhängen das Metallgeländer eines Balkons und einen dunklen, von keiner Straßenlaterne erleuchteten Nachthimmel. Sie befand sich also außerhalb von Athen, vermutlich in Michail Nergadses Haus. Sie erinnerte sich, dass Sokratis beeindruckt erzählt hatte, wie abgelegen es war, wie riesig.
Hinter ihr ging die Tür auf und wurde wieder geschlossen. Sie hörte jemanden atmen. Ihr Herz begann zu hämmern. «Wer ist da?», fragte sie.
Aber sie wusste es bereits.
III
Nico schlief auf der Seite, als der Anfall begann. Ein bösartiger Dämon griff ihm durch die Kehle in die Brust, packte sein Herz und riss es heftig herum.
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