Waechter des Labyrinths
Stein herabgeregnet. Tsunamis haben die Küsten und Flotten zerstört. Monatelang war die Sonne nicht mehr zu sehen. Das Meer war zähflüssig vor lauter Asche. Und die Überlebenden wussten, dass sie zwar ihren persönlichen Kampf gegen das Verhungern gewonnen hatten, dass ihr Reich aber verloren war. Es dauerte Jahre, bis die Mykener die Macht übernahmen, was bestimmt vor allem daran lag, dass auch ihr Land durch den Ausbruch des Thera verwüstet worden war.»
«Und die Bevölkerung war traumatisiert. Überleg mal, welchen Mut die Menschen aufbringen mussten, um danach wieder in See zu stechen.»
«Ganz genau. Die gesamte Zivilisation des östlichen Mittelmeers war durch eine einzige Katastrophe zusammengebrochen. Und obwohl wir mittlerweile vieles finden konnten, was sie hinterlassen hat, sind wir uns immer noch nicht sicher, ob alle Teile zum selben Puzzle gehören oder wie sie zusammenpassen. Und das liegt vor allem daran, dass das Bild auf der Schachtel unseres Puzzles falsch ist: weil es von Spezialisten der griechischen Antike gezeichnet wurde, von Spezialisten für Ägypten oder Kleinasien, und nicht von Spezialisten der mediterranen Welt. Aber wenn man diese Schachtel wegwirft und sich ein neues Bild von Kreta und Santorin im Zentrum eines riesigen und hochentwickelten Reiches vorstellt, dann passt plötzlich alles zusammen. Und dank Platon haben wir bereits eine fabelhafte Vorstellung davon, wie dieses neue Bild aussehen könnte.»
« Die Atlantis-Connection », meinte Gaille.
« Die Atlantis-Connection », wiederholte Iain lächelnd.
II
Für Knox war es noch zu früh, um den Tag zu beenden. Daher beschäftigte er sich noch eine Weile mit dem Internet. Er lud die Fotos herunter, die Gaille ihm geschickt hatte, und schaute sie sich auf dem Monitor an. Agios Georgios, hatte sie geschrieben, in der Nähe der Südküste. Er suchte den Ort auf einer Karte von Kreta und öffnete dann Google Earth. Verglichen mit der trägen Verbindung in Ägypten, hatte diese Lichtgeschwindigkeit. Er zoomte vom Mittelmeer auf Kreta und vergrößerte die südliche Küste, wo er den Hafen von Chora Sfakion entdeckte, dann Anopolis und schließlich Agios Georgios.
Aus der Vogelperspektive sah das Gelände bergig und öde aus, der graue Kalkstein war mit lichtem Gebüsch bedeckt und mit den grünen Kreisen von Bäumen gesprenkelt. Er zoomte auf abgelegene Gebäude, aber keines passte zu der Beschreibung von Petitiers Haus. Deshalb weitete er seine Suche aus und fahndete nach diesem charakteristischen Amphitheater aus Felsen. Das Programm erschien ihm unglaublich voyeuristisch; Privatsphäre existierte nicht mehr. Am Ende hatte er zwei mögliche Kandidaten gefunden und so nah herangezoomt, bis er sich sicher war: ein Haus mit zwei Gewächshäusern aus Plastikplanen in der Nähe.
Eine Weile starrte er auf das Bild, dachte liebevoll an Gaille und fragte sich, ob sie ihm noch immer böse war und was er alles würde tun müssen, um es wiedergutzumachen. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Er fragte sich, ob sie bereits etwas über Petitier herausgefunden hatte. Wenn es jemand schaffen würde, dann sie. Es ärgerte ihn maßlos, dass so viele Leute ständig nur ihn für ihre Entdeckungen um Alexander und Echnaton rühmten, denn die Wahrheit war schlicht und ergreifend, dass Gaille den meisten Ruhm verdient hatte.
Er schloss Google Earth und gab Roland Petitiers Namen in die Suchmaschine ein. Eigentlich rechnete er nicht damit, außer ein paar Berichten über den Mord an ihm viel zu finden. Schließlich war der Mann vor zwanzig Jahren von der Bildfläche verschwunden, lange vor dem Internetzeitalter. Doch zu Knox’ Überraschung erhielt er eine Reihe Treffer, die zum Online-Archiv eines eher unbekannten archäologischen Magazins führten. Petitier hatte darin einen Artikel veröffentlicht, der offenbar eine recht lebhafte Diskussion provoziert hatte. Doch es war nicht Petitiers Name, der Knox einen Schlag versetzte, nicht einmal der Titel des Textes, obwohl auch der ihn neugierig machte.
Nein, was ihn wirklich irritierte, war der Name des Mannes, der neben Petitier als Coautor aufgeführt wurde.
III
Nach dem langen Tag war Gaille erledigt. Sie nahm ihren Kulturbeutel und eine Flasche Wasser, ging damit zum Rand des Dachs und drückte Zahnpasta auf ihre Zahnbürste.
Iain stellte sich neben sie. Er trug nur Boxershorts und ein T-Shirt und hielt ihr seine Zahnbürste hin. Sie kippte Wasser darüber, das beiden auf die Füße
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