Wächter des Mythos (German Edition)
ihrer Tasche, reichte es Sandino und machte sich auf den Weg zur Herberge, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.
* * *
Inspektor Rey legte die letzte Aktenmappe in die Schublade und blickte zufrieden auf seinen Schreibtisch. So aufgeräumt war er nur, wenn er sich in den Urlaub verabschiedete, und das wollte er ja nun umgehend tun. Er hasste es, nach seiner Abwesenheit von allerlei Unerledigtem empfangen zu werden, denn auch so werde sich genügend Papierkram ansammeln. Seine Urlaubstage waren auch von seiner Frau und seinen beiden Kindern so problemlos genehmigt worden, dass er sich schon überlegt hatte, ob er sich Sorgen um seine Familie machen musste.
Doch er beruhigte sich damit, dass sie froh darüber waren, ein paar Tage ohne ihn verbringen zu dürfen. Es war für sie wohl eine Abwechslung ihres Alltags, so wie es für ihn der Jakobsweg war.
Ungeduldig warf er einen Blick auf die Uhr. Es war soweit, seine Dienstzeit war vorüber und das Gepäck wartete schon im Auto. Er schnappte nach seinen Wanderschuhen und sah sich bereits auf dem vertrauten Wege pilgern. Aus welchem Grund auch immer er sich auf den Camino begab, es war stets eine einzigartige Erfahrung, diesem über tausendjährigen Brauch zu folgen.
Beschwingt verließ er die Polizeidirektion und ging über den Parkplatz zu seinem Wagen, als plötzlich sein Mobiltelefon klingelte. Rey nahm den Anruf nur widerwillig entgegen, denn es bestand die Gefahr, dass ihm nun etwas Dringendes einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Am Telefon war Monsignore Sandino de Vegio. Keine zwei Minuten später sauste Rey fluchend wieder die Treppen hoch, zurück in sein Büro.
Erneut steckten seine beiden Schützlinge in tiefen Schwierigkeiten, und er musste zusehen, wie er sie dort so schnell wie möglich wieder heraus bekam. Doch ein wahrer Pilger zu sein bedeutete für ihn, seine Hand jenen zu reichen, die Hilfe brauchten. Als erstes rief er seinen Freund von der Kriminalpolizei Santiago de Compostela an, der glücklicherweise gerade auf dem Weg von León in Richtung Santiago war.
Kapitel 11
Maria schrieb gerade an einem Brief, als sie Alina die Gaststube betreten sah. Ein Schreck durchfuhr sie, denn sie wusste sofort, dass etwas Furchtbares geschehen war.
»Was ist passiert, Alina, und wie bist du an diesen Kelch gekommen?«, fragte sie besorgt. »Ist dir bewusst, dass du den heiligen Gral Galiciens in den Händen hältst, den Santo Grial do Cebreiro , der auch auf unserer Nationalflagge zu sehen ist?«
Alina blieb stehen und blickte sie verständnislos an.
»Hör mir zu! Du musst diesen Kelch an seinen Platz zurückstellen, egal, was passiert ist. Denn dieser Kelch symbolisiert den Nationalstolz von ganz Galicien, niemand würde dir mehr helfen, wenn du ihn entwendest.«
Alina wandte sich Sandino zu, der jetzt hinter ihr in die Gaststube getreten war. Doch auch er blickte sich nur hilflos um. Beide wirkten wie gelähmt.
»Hast du verstanden , was ich dir gesagt habe, Alina?« Maria war aufgestanden und blickte Alina direkt in die Augen. »Dein Vater hatte auch ein Interesse an dem Kelch und er hat sein Geheimnis aufgedeckt. Du brauchst ihn also nicht mehr! Und wenn’s wirklich sein muss, es gibt eine originalgetreue Kopie davon. Bring ihn sofort zurück!«
»Eine originalgetreue Kopie?«
»Die du nicht brauchen wirst, Alina. Dein Vater hat das Geheimnis aufgedeckt, ich kann dir alles Notwendige erzählen, bitte glaub mir. Es geht um die Menschen hier in Galicien. Der Kelch hat seinen Ort. Wir haben nicht das recht, ihn von dort zu entfernen.«
»Hier, nimm den Kelch«, sagte Alina verlegen zu Sandino, »und bring ihn wieder zurück. Wir haben gefunden, was wir suchen. Ich vertraue Maria. Wir haben schon genug Unheil angerichtet.« Sandino nahm ihr zögernd den Kelch ab und verließ den Raum.
»Komm, setz dich zu mir«, sagte Maria nach kurzem Schweigen. »Erzähl, was ist geschehen?«
»Der Priester … «, erschöpft ließ sich Alina auf einem Stuhl nieder, und senkte bedrückt den Kopf. »er hat sich in der Kirche direkt vor unseren Augen erschossen.« Alina schwieg bekümmert, versuchte, tief durchzuatmen und ihre Tränen zurückzuhalten, doch jeder einzelne Muskel ihres Gesichts verkrampfte sich. Sie schloss die brennenden Augen, dann begannen ihre Tränen lautlos zu fließen.
»All die Toten«, schluchzte sie leise, »alle die Bemühungen der vergangenen Tagen, wofür soll das alles nur gut gewesen sein? …«
Die Gastwirtin
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