Wächter des Mythos (German Edition)
passte. Im Zuge der Hexenverbrennung wurden durch die Inquisition Hunderttausende von Frauen verbrannt.«
Nun standen Maria die Tränen in den Augen, als hätte sie selbst dieser Schicksalsschlag getroffen. Sie wischte sich unwirsch eine Träne von der Wange.
»Zum Glück landet heute niemand mehr auf dem Scheiterhaufen und zum Glück haben hier und da noch Fragmente des Kelten-Kultes überlebt«, sagte Alina tröstend, von Marias Emotionalität etwas verwirrt.
»Das war übrigens der Grund, weshalb mich dein Vater ins Vertrauen zog. Anfangs war er der Meinung, diese Zeichen auf dem Kelch seien keltische Runen. Doch das konnte ich ihm ausreden, denn nach tausend Jahren Romanisierung und Christianisierung ist vom Keltentum nicht mehr viel übrig geblieben. Sternenweg, Gralslegende und die Helvetia als Stammesmutter haben wohl nur aus reinem Zufall überlebt.«
»Ich weiß«, sagte Alina nun leise, »denn in Sachen Archäologie bin ich zu Hause. So um das Jahr 400 ging die Christianisierung des Römischen Reiches mit einer derart barbarischen Zerstörung von Kultobjekten einher, wie man sie nie zuvor in der archäologischen Geschichte der Menschheit erlebt hatte. Um 380 schilderte ein Heide in einem Brief an seinen Kaiser die extreme Zerstörungswut an heidnischen Tempeln durch ›Banden schwarz gekleideter Mönche‹ . Um das Jahr 430 war die Zerstörung der heidnischen Tempel und Statuen bereits so weit vorangeschritten, dass man sogar damit prahlte, sich nicht einmal mehr ihre früheren Kult-Stätten vorstellen zu können. Dennoch hat einiges überlebt und bis heute das Christentum geprägt.«
»Da hast du recht! Bis zur Ankunft des Christentums war es logisch, dem Feind seine Reliquien und heiligen Gegenstände zu rauben, um sie für sich zu nutzen. Warum die Macht der Götter brachliegen lassen oder sich gar ihren Zorn einhandeln? Man wollte den Göttern gefallen !«
»Aber um auf die Botschaft zurückzukommen, der mein Vater auf der Spur war«, fragte Alina, »hat er sie entschlüsselt?«
»Nun ja, dein Vater war der frohen Botschaft der Templer auf der Spur, und hat sie zusammen mit Don Ferrari entschlüsselt.«
»Mit Don Ferrari?«, Alina war fassungslos. »Etwa derselbe alte Priester, der sich eben vor unseren Augen das Leben genommen hat?«
»Ja, bedauerlicherweise. Don Ferrari war am Anfang von der Grundidee deines Vaters überaus begeistert, dem Vorhandensein einer verschlüsselten Botschaft, die eventuell den wahren Kern der Lehre Jesu enthält. Don Ferrari und deinem Vater gelang es dann, mithilfe des Kelchspaares die Templer-Botschaft zu entschlüsseln. Doch was als Botschaft entschlüsselt wurde, das war für den einen eine riesige Freude und für den anderen ein großes Leid.«
»Das heißt?«, fragte Alina verwirrt.
»Don Ferrari wollte nichts von einer Gleichberechtigung der Gottes-Kinder wissen, die in einer gesetzmäßigen, kausalen, das All umfassenden Ordnung leben. Er wollte nichts von Grundsätzen und Prinzipien hören, die diese Ordnung beherrschen und uns, sobald wir sie eben wissenschaftlich erfassen, zu so etwas wie Göttern werden lassen. Und er hasste die Auslegung deines Vaters, dass es auf dieser Welt so viele Götter wie Menschen gibt.«
»Das ist die Botschaft? Dass wir alle Kinder Gottes sind. Frauen und Männer: gleichberechtigte Kinder Gottes? Aber Maria, wenn die Kirche an dieser Lehre festgehalten hätte, dann hätte die Französische Revolution sicherlich schon zuzeiten der Templer stattgefunden! Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das ist die Botschaft der Templer? Und die Kirche hat jahrtausendelang versucht, diese Prinzipien voneinander zu trennen …«
»Ja, und daran wollte Don Ferrari festhalten. Für ihn brach seine heile, christliche Welt zusammen, denn in der verkündeten Botschaft ist nichts vom biblischen Wunderglauben zu finden. Der Glaube an Wunder liegt jenseits des Menschenreichs, somit ist die Welt grundsätzlich auch ohne das Böse oder Wunder vollkommen.«
Alina schwieg fassungslos. Sie drehte eine Haarsträhne um ihren Finger und dachte nach. »Das Böse ist ja auch nicht in der Welt zu finden, sondern in den Gedanken der Menschen.«
»Für Don Ferrari lag das Böse außerhalb der Kirche und vor allem in dieser Botschaft.«
»Und weil er den verstümmelten Abriss der Lehre mit Namen Bibel und die heile Welt der Wunder schützen wollte, hat er meinen Vater an den Vatikan verraten!«, sagte Alina bitter.
»Nun, er war wütend. Zutiefst
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