Wächter des Mythos (German Edition)
sackte der Alte plötzlich in sich zusammen, als hätte ein böser Geist schlagartig von ihm gelassen. Sandino ging zögernd auf den Pfarrer zu und ließ langsam seine Waffe sinken. Der Priester seufzte erleichtert und starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.
»Ich bin alt und habe nicht mehr die Energie wie früher. Doch ich frage mich«, sagte der alte Kleriker vorsichtig, indem er jedes Wort betonte, »wie viel Zeit Ihnen noch bleibt? Gehen Sie jetzt , beide!«
»Mehr als genug, wir werden so lange hierbleiben, wie es notwendig ist«, zerschnitt Alina die eingetretene Stille.
» Tatsächlich? «, fragte der alte Mann und wich überrascht einen Schritt zurück.
»Zeit ist ein dehnbarer Begriff, nicht wahr !«, rief Alina beherrscht. »Wenige Augenblicke können ewig dauern, andere vergehen wie im Fluge. Doch Zeit hängt in Wahrheit davon ab, wie man die Dinge wahrnimmt und begreift, nicht wahr ! Je nachdem, wie lange man braucht, bis man die Zusammenhänge verstanden hat. Und mein Vater hatte sie verstanden! Deshalb musste er sterben.«
»So beruhigen Sie sich doch«, erwiderte der alte Priester gefasst und lächelte sanft. »Aber vielleicht sollten wir die Sache nicht verkomplizieren, denn ich bin jetzt auf Ihrer Seite.«
»Wie das?«, fragte Alina verblüfft.
»Wenn ich Ihnen nun sagen würde, dass sich das, was Sie suchen, hier in diesem Kirchenraum befindet, könnten Sie es dann rechtzeitig finden? Noch bevor dieser sogenannte Satan hier eintrifft?«
»Wie gesagt, ich habe dieses Spielchen statt «, fuhr Sandino trotzig dazwischen.
»Es liegt direkt vor Ihnen. Sie sind der Sache schon nähergekommen, als Sie sich hätten träumen lassen.«
»Wir spielen nicht mit«, wiederholte Sandino entschieden.
»Ich denke, da irren Sie sich. Sie beide werden noch ein bisschen weiterspielen müssen, da das Spiel für Sie noch nicht vorbei ist. Für mich hingegen …«, sagte der alte Priester und hielt nun unerwartet einen kleinen Artikel zwischen seinen Fingern, »sieht das allerdings ganz anders aus.«
»Was ist das?«, fragte Alina verwirrt.
»Vielleicht ja der Schlüssel zu den Informationen, zu dem Gegenstand, den Sie hier suchen.« Er ließ einen kleinen Schlüssel an seiner erhobenen Hand baumeln.
»Worauf warten Sie noch«, sagte Sandino ungeduldig, »so geben Sie ihn doch her.«
Der Priester zuckte die Achseln. »Na gut, wie Sie wollen …«, sagte er zögernd und warf ihm den Schlüssel zu. Sandino fing ihn auf, doch das war ein Fehler, wie er augenblicklich begriff. Denn als er aufsah, blickte er in das grinsende Gesicht des alten Mannes und auf die Pistole in seiner Hand, die er mit einer schnellen Bewegung aus dem weiten Saum seines Messgewands hervorgezogen hatte.
»Nicht ganz so groß wie die Ihre, Monsignore, oder?« sagte der Pfarrer höhnisch. »Aber sicher genauso wirksam. Außerdem haben Sie da gerade einen kleinen Fehler gemacht, der Ihrem Verfolger sicherlich nicht unterlaufen würde. Ich denke, er hätte niemals die Augen von der Zielperson gelassen. Das sollte Ihnen klarmachen, wie groß Ihre Chancen sind.«
Die beiden Männer sahen sich, die Waffen aufeinander gerichtet, über den Altar hinweg an. Sandino kniff nervös seine Augen zu Schlitzen, als er merkte, wie ihm der Schweiß auf der Stirn stand, denn seine Waffe war ja nicht geladen.
»Sie wissen es, nicht wahr?«, sagte der Alte, sichtlich gelassen, »dass wir Menschen genauso unvollkommen sind wie er!«
»Wen meinen Sie damit, Don Ferrari, Jesus oder den Satan? Oder, dass wir unvollkommenen Menschen nach göttlicher Vollkommenheit streben?«
»Sie haben einen scharfen Verstand!«
»Nehmen Sie die Waffe runter«, sagte Sandino jetzt selbstsicher. »Sie werden mich mit dem ersten Schuss nicht gleich erschießen. Ich kann das Mündungsfeuer noch erwidern.«
Der Priester zielte weiter auf Sandinos Gesicht, nickte aber. »Muss ich auch gar nicht, oder ? Der Mann, der Sie verfolgt, wird das schon erledigen. Meinen Sie nicht auch?«
»Haben wir da nicht ein Wort mitzureden?«, mischte sich Alina ein. Doch der alte Priester ignorierte sie und fuhr mit seltsamer Stimme fort.
»Ist es nicht sehr bemerkenswert, Monsignore? Wir , die wir uns dem Glauben verpflichtet fühlen, die alles drangesetzt haben, eine Tradition zu bewahren und die Kirche von den Plagegeistern zu befreien, die sie verfolgen und quälen, sollen die Anstifter des Bösen sein? Man will uns am liebsten umbringen , so wie man die Mutter oder den Vater oder all
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