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Wächter des Mythos (German Edition)

Wächter des Mythos (German Edition)

Titel: Wächter des Mythos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Saurer
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verborgenen Versammlungsraum der Nazarenos.
    »Eure Exzellenz wird schon erwartet«, teilte ihm einer der Tiraboleiros mit. Erwartungsvoll betrat der Kardinal das unterirdische Gewölbe, während seine beiden Begleiter den Raum wieder verließen. Das diffuse Licht der Kerzen und Fackeln vermochte nicht die tiefen Schatten in den seitlichen Arkaden zu durchdringen, wo sich mittelalterliche Waffen und Rüstungen befanden. An der Rückwand hob sich nun deutlich ein massives Balkenkreuz mit einer lebensgroßen Darstellung des gemarterten, blutüberströmten Jesus hervor, zu dessen Füßen sich eine große Tafel befand.
    Um die Tafel herum hatte sich eine Gruppe von zwölf vermummten Nazarenos in ihrer gespenstischen Kostümierung versammelt. Am Ende der Tafel, direkt unter dem großen Kreuz, war ein Platz frei geblieben, auf den sich der Kardinal jetzt feierlich setzte. Vor ihm waren eucharistische Gaben vorbereitet, eine Abendmahlsoblate und ein Kelch mit Rotwein. Die Tafelrunde schien vollständig zu sein, es herrschte tiefes Schweigen und Kontemplation.
    Der Kardinal starrte auf das, was vor ihm stand, und begann dann etwas zögernd, die Wandlung zu vollziehen. Nachdem er die liturgischen Gefäße säuberlich vor sich angeordnet hatte, hob er das Heilige Brot in die Höhe, dasselbe tat er mit dem Kelch. Immer noch herrschte ein tiefes Schweigen, selbst als die Wandlung zu Ende war.
    Dann stand jedoch einer nach dem anderen auf und verließ den Raum. Der Kardinal wollte Einspruch erheben, doch seine Zunge war belegt und seine Glieder mit einem Mal bleischwer. Die zwei letzten Nazarenos kamen unverhofft auf ihn zu. Doch sie nahmen nur den gemarterten Jesus hinter seinem Rücken vom Kreuz und legten ihn vor den Kardinal auf den Tisch. Danach ließen sie ihn allein.
    Wie gebannt starrte er auf die lebensechte, übel zugerichtete Christusfigur, von dessen Fleisch er kurz zuvor in seiner symbolischen Wandlung gegessen und von dessen Blut er getrunken hatte. Er fühlte sich elend und benommen. Plötzlich stand ein Priester vor ihm, der dem Kardinal zuvor noch nie begegnet war. Der Christusfigur zugewandt begann er zu sprechen.
    »O Herr, sieh ihn dir an. Josef Kardinal Walter, der in Vatikan-Stadt Zauberei trieb, das Kleriker-Volk verhexte und vorgab, er sei etwas Großes. Sie hingen ihm alle an, die Kleinen wie die Großen, und sprachen: Er ist die Kraft Gottes . Sie hingen ihm aber nur an, weil er sie lange Zeit mit seinen Dämonen verhext hatte.«
    Der Priester hielt eine Weile in tiefer Kontemplation inne. Er blickte nach oben, wie, um sich von höchster Stelle eine Antwort zu erbitten. Nach einer Weile nickte er, als sei er mit seiner empfangenen Eingebung sehr zufrieden, und schaute den Kardinal schließlich unverwandt an.
    »Sieh ihn dir gut an! Er starb eines grausigen Todes, indem er alle unsere Sünden auf sich nahm. Willst du auch all seine Leiden auf dich nehmen? Denn auch du wirst jetzt eines langsamen Todes sterben, dank des Giftstoffes, den ich deinem Wein in göttlicher Sanftmut beigefügt habe.«
    Die Worte des Priesters trafen Kardinal Walter mitten ins Herz. Wie eisige Nägel drangen sie tief in seine Seele. Er wollte schreien, wollte etwas sagen, doch er konnte nicht. Sein ganzer Körper war wie gelähmt. Rette mich, o Herr , flehte der gepeinigte Kardinal in Gedanken, dann warf ihm der Priester ein paar Münzen zu.
    »Hier, nimm deinen Lohn, du Judas! Du warst es, der Dreizehnte in dieser Tafelrunde. Du hast Gott und damit auch Sebastiano verraten, als du unserer Bruderschaft den Rücken kehrtest.« Ein kalter Schauer lief Kardinal Walter über den Rücken, als ihm klar wurde, wen er da vor sich hatte.
    »Der Satan hat dich auf Abwege geführt! Warum hast du das zugelassen, Kardinal? Kein Engel ist machtvoller als unser gottgeweihter Geist, wenn wir an Gott festhalten.«
     
    * * *
    Gabriel hatte inzwischen seinen Kaffee bezahlt, war aufgestanden und die Straße hinuntergeschlendert. Dann war er vor einem Souvenirladen stehengeblieben und hatte sich die Auslagen angeschaut. Der Himmel war heute etwas bedeckt. Gerade in dem Augenblick, als er sich für etwas zu interessieren begann, schob sich eine große dicke Wolke vor die Sonne und tauchte die Stadt in dunklen Schatten.
    Gabriel trat in den kleinen, staubigen Laden. Hinter einer Theke saß ein alter, etwas kauzig aussehender Mann und betrachtete unter einer Lupe eines der zahlreichen Kreuze, die in seinem Laden zu haben waren. Beim Eintreten warf ihm

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