Wächter des Mythos (German Edition)
hatte. Er war fassungslos, sein Gesicht hatte mit einem Schlag die Farbe eines Grabtuchs angenommen.
»Eure Eminenz, ich denke nicht, dass sich dieser Exorzist absichtlich das Leben nahm. Soviel ich weiß, kam es zwischen dem Priester und diesem … Morisken zum Kampf. Wir sollten, so wie Gott, Gnade walten lassen, denn er war einer unserer Männer und dem Papst und Vatikan stets treu ergeben.«
Der Kardinal blickte seinen Sekretär mit ausdrucksloser Mine an. Er war es nicht gewohnt, Einwände von ihm zu hören, und hatte für falsches Mitleid kein Verständnis.
»Nur Gott allein sieht die wahren Zusammenhänge und kann einer solchen Seele gnädig sein, Amen . Ich werde für seinen Ausschluss aus der Kirche und damit auch aus dem Himmel sorgen. Verlorene Seelen haben dort nichts zu suchen.«
Vikar Dario schwieg und senkte den Blick, er ließ sich nicht anmerken, was in ihm vorging. Der Kardinal tat so, als würde er sich wieder seinen Dokumenten zuwenden, doch er warf dabei einen verstohlenen Blick auf den Vikar. Dann überflog er nochmals den von Dr. Bernard zuletzt geschriebenen Zeitungsartikel, der bei ihm alle Alarmglocken hatte läuten lassen. Am liebsten hätte er das Papier auf der Stelle verbrannt, sodass es niemandem mehr in die Hände fallen konnte. Natürlich wusste er, dass dies sinnlos war, da es Hunderte von Abzügen davon gab. Daher schob er nun missmutig die Dokumente beiseite und lehnte sich zurück.
»Was immer dort geschehen war, dieser Moriske ist noch am Leben. Wissen wir, was er vom verstorbenen Ketzer wollte?«
»Leider nicht, Eure Eminenz«, antwortete ihm sein Sekretär mit trockener Stimme.
* * *
Der Anschlussflug nach Chiang Mai hatte Verspätung, sodass sich Gabriel jetzt die Zeit nehmen konnte, die Hightech-Architektur des internationalen Flughafens Suvarnabhumi in Bangkok zu bewundern. Er bahnte sich seinen Weg durch einen Strom gut gekleideter Geschäftsreisender und ließ sich in einer Kaffeebar nieder, in der die Serviererinnen ebenso höflich wie hübsch waren. Nun, was die Frauen betraf, so war er jedes Mal auf die falschen hereingefallen.
Die letzte dieser Art hatte er am Ende sogar geheiratet, ein Fehler, den er – zumindest auf dem Papier – mittlerweile hatte korrigieren können. Das warme Getränk tat Gabriel nach den letzten beiden Tagen und dem langen Flug nach Thailand gut. Nun musste er sich wegen seines Anschlussfluges gedulden. Er nahm sich noch einmal die Zeitung vor, die er vor seinem Abflug in Zürich erhalten hatte, und las die kurze Notiz ›TODESENGEL IN DER AUGUSTINERGASSE‹ erneut durch.
›In seinem Haus in der Basler Altstadt wurde Dr. Andreas Bernard, ein ehemaliger Mitarbeiter der United Nations in Thailand, von einem umnachteten Priester der katholischen Kirche aus Rom erschossen.
Wie die Polizei mitteilte, hatte sich der Priester unerlaubten Zugang zu Dr. Bernards Haus verschafft, zuerst seinen Hund und danach Dr. Bernard durch einen Kopfschuss getötet und sich darauf selbst das Leben genommen. Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei dem Täter um einen fanatischen Priester handelt, dessen Tat vermutlich in Zusammenhang mit Dr. Bernards zum Teil ausgesprochen kirchenkritischen Artikeln steht.
Die römisch-katholische Kirche distanzierte sich allerdings umgehend von dem Priester, der durch sein grob gewalttätiges Vorgehen nicht im Sinne des christlichen Glaubens gehandelt habe.
Dr. Bernards letzter Zeitungsartikel befasst sich mit religiöser Verschwörungstheorie. Kernpunkt seines Artikels stellt ein mittelalterliches Templer-Relikt dar, das in verschlüsselter Form eine tief greifende Wahrheit zu offenbaren vermag, jedoch keine Bluts- oder Blutlinienwunder Christi. Ob den Priester nun dieser oder ein anderer Artikel zu seiner Tat veranlasst haben, konnte bisher nicht geklärt werden.‹
* * *
Etwa achthundert Kilometer nördlich vom internationalen Flughafen Suvarnabhumi stand eine junge Frau in der schlichten weißen Kleidung einer buddhistischen Nonne am Straßenrand und blickte genervt auf den kleinen Jungen, der unruhig um sie herumsprang. Hinter ihnen befand sich eine hohe weiße Mauer, hinter der sich die eindrucksvolle Tempelanlage mit dem goldenen Chedi verbarg, der zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Ortes und zum National Historic Treasure des Landes gehörte.
Neben dem thailändischen Jungen stand eine typisch asiatische Garküche, an der sich eine alte Frau zu schaffen machte und frittierte Bananen sowie
Weitere Kostenlose Bücher