Wächter des Mythos (German Edition)
unzählige weitere Grausamkeiten zugefügt. Mit schier unerträglicher Brutalität hatte er den Leib dieses ketzerischen Mönches so lange malträtiert, bis sein Körper im wahrsten Sinne des Wortes blutüberströmt und mit Fleischwunden überzogen war.
Anschließend hatte er dem sich im eigenen Blut vor Schmerz windenden und krümmenden Mönch eine Dornenkrone aus Stacheldraht um sein Haupt gewickelt und ihn als König der Ketzer verspottet. Die Nägel hatte er jedoch – der biblischen Vorlage widersprechend – nicht durch die Handflächen, sondern durch die Handwurzelknochen treiben wollen. Diese Abweichung hatte er damit begründet, dass das Gewebe der Hände nicht stark genug sei, um den Körper zu halten. Dem Bericht war an dieser Stelle der Kommentar beigefügt, dass ein menschlicher Körper von den Nägeln in den Handflächen sehr wohl getragen werden könne, wenn sie zusammen mit Seilen verwendet würden.
Zum Glück hatte man den gottlosen Versuch der Kreuzigung schließlich abgebrochen, weil das Opfer an der maßlosen Schändung seines Körpers bereits verblutet war. Zum Abschluss des Berichts war vermerkt, dass es furchtbar gewesen sei, dies alles mit ansehen zu müssen. Der Exorzist habe die Gewaltanwendung mit einer solchen Besessenheit betrieben, dass es jenseits des Tolerierbaren und für die römisch-katholische Kirche daher auch nicht angebracht gewesen war.
Auch fand sich in der Akte des ›Schlächters von Rom‹ eine Stellungnahme des Priesters selbst: Gemäß biblischer Darstellung habe er sich entschlossen, diesen Ketzer erst eine Zeit lang zu geißeln, um ihn danach zu kreuzigen. Er hätte dies nicht etwa getan, weil er Lust dabei empfunden habe, wie der Leib durch unzählige Geißelhiebe zerfetzt wurde. Er habe nur die Wahrheit wissen wollen. Zum Heil habe er diese Strafe auf das Opfer gelegt. Schließlich sei dieser Sünder durch seine Wunden auch wieder geheilt und von seinen Sünden enthoben worden. Damit habe er diesen verlorenen Sohn näher an die Passion Christi herangeführt, als es den meisten anderen Menschen je vergönnt sei.
Dem Kardinal lief ein Schauer über den Rücken. Noch heute bereitete diese Priesterbruderschaft dem Vatikan Probleme, auch wenn er selbst als Kardinal ihre Ansichten befürwortete. Denn in aller Öffentlichkeit stieß sie sich an der Konzilserklärung Nostra Aetate , in der sich die Kirche zu einer positiven Wertung der nicht christlichen Religionen und zur Abkehr vom kirchlichen Antijudaismus bekannte.
Der Kardinal wandte sich nun vom Fenster ab und drehte sich abrupt seinem Sekretär zu, der die ganze Zeit abwartend dagestanden hatte.
»Sie waren doch damals in Silos dabei, als der Kelch entdeckt wurde. Was hat sich dort abgespielt?«
»Während der Inspektion fotografierten wir die Kirchenschätze in der Sakristei«, schoss es dienstbeflissen aus dem blassen Vikar. »Später stellten wir fest, dass ein Kelch fehlte.«
»Und?«
»Als wir es bemerkten, kam uns das merkwürdig vor. Denn von all den Kostbarkeiten und Kultgegenständen, die dort waren, war nichts angerührt worden, sondern nur dieser eine Kelch verschwunden. Wie wir erfuhren, war der Diebstahl von einem unserer Mitbrüder beobachtet worden. Ein Mönch hatte den Raum betreten, sich offenbar unbeobachtet gefühlt und den Kelch in einer Art Ritual an sich genommen. Er hätte dabei beinahe wie in Exaltation gewirkt.«
»War Ihnen der Kelch denn irgendwie besonders vorgekommen?«
»Nein, er war uns zunächst gar nicht weiter aufgefallen. Wir hatten den Kelch zufällig in der Sakristei mit einigen Kirchenschätzen fotografiert. Die Fotos ließen wir dann zusammen mit Bildern vom Ketzer-Kodex in Rom prüfen, dabei wurden Zeichen auf dem Kelch entdeckt. Wir erhielten die Anweisung, den Kelch sofort zu beschlagnahmen, doch auf einmal war dieser spurlos verschwunden. Der verdächtigte Mönch bestritt, ihn an sich genommen zu haben.
Eigenartigerweise war dieser Kelch in keiner Inventarliste vermerkt, noch war er den anderen Mönchen im Kloster bekannt. Niemand hatte ihn je zuvor gesehen oder wusste, wie er dort hingekommen war. Hätten wir ihn nicht zufällig fotografiert, wir hätten jetzt selbst an seinem Vorhandensein gezweifelt. Darauf erhielten wir die Anweisung, uns mit diesem Mönch moriskischer Abstammung eingehender zu befassen, um so die näheren Umstände zu ergründen.«
»Ich habe den Bericht gelesen. Sonderbar, dass wir es nun schon wieder mit einem Morisken zu tun
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