Wächter des Mythos (German Edition)
kleine gebratene Bananenspießchen anpries. Doch der Kleine mit dem Namen Ding schenkte diesen Leckereien keine Beachtung, schon gar nicht irgendwelchen Bananen. Denn diese wuchsen hier ja wie Unkraut und wurden trotz modernster Ladenketten immer noch an jeder Straßenecke angeboten. Seine Aufmerksamkeit galt dem Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in dem all jene Schleckereien zu finden waren, die für ihn ohne seine Cousine leider nicht zu haben waren.
» Pi Alina, ich möchte ein Eis«, bettelte Ding, woraufhin Alina ihren Cousin mit einem sehr verärgerten Blick strafte. Sie wollte gerade ins Internetcafé gehen, um nach möglichen Mails zu sehen. Der zehnjährige Ding hatte wieder einmal genau den falschen Augenblick abgepasst, um seine Bedürfnisse anzumelden.
» Nong Ding, also wirklich! Kannst du damit nicht warten, bis ich wenigstens die wichtigsten Sachen erledigt habe?«, rief sie ihm genervt hinterher, aber der Kleine war ihr schon zuvorgekommen, über die Straße gesprungen und im gegenüberliegenden ›7eleven‹ verschwunden. Verärgert ging sie ihm nach. Ding stand bereits mit seinem Eis an der Kasse, als sie eintrat, und wartete geduldig, bis sie bezahlt hatte. Dann zerrte er hastig das Papier herunter und machte sich über das Eis her. Sie schüttelte nur lächelnd den Kopf, denn sie konnte dem Kleinen nie lange böse sein.
»So, komm jetzt, du willst doch sicherlich deine Computerspiele nicht verpassen.« Ding riss aufgeregt die Augen auf, er schien nicht mehr an die Computerspiele im Internetcafé gedacht zu haben. Das war ja eigentlich gut so, doch Alina musste nun endlich wieder einmal ihre Mails durcharbeiten und sie war froh, wenn ihr Ding dabei nicht ständig auf die Nerven ging. In dem buddhistischen Tempel, in dem sie sich aufhielt, war das Abrufen ihrer E-Mails leider nicht möglich, da der Computer dort ständig in Gebrauch war. Als nun beide aus dem Laden traten, stieß Alina einen tiefen Seufzer aus. Sie wünschte, dass die Klimaanlage des Ladens auch hier draußen funktionieren würde.
* * *
Der Kardinal war aufgestanden und an eines der großen Fenster getreten. Er blickte abwesend auf die Gartenanlage hinaus, die während der Renaissance angelegt worden war und in der sich das damalige Bedürfnis der Päpste nach höfischer und künstlerischer Repräsentation widerspiegelte. Dem Bericht aus Basel, der auf seinem Schreibtisch lag, war auch die Akte des verstorbenen Priesters Roberto beigelegt. Darin war zu lesen, dass der Priester in jungen Jahren einer erzkonservativen Priesterbruderschaft beigetreten war, die für heikle Aufgaben Offiziers-Exorzisten in Südamerika ausbildete. Der damals noch junge Priester Roberto hatte im Dienst des Vatikans den Auftrag, seine als Offiziers-Exorzist erworbenen Fähigkeiten im Rahmen einer ersten, offiziellen Aufgabe im Kloster von Silos anzuwenden.
Es war Jahre her, seitdem der Kardinal den Bericht über die Vorfälle im Kloster das letzte Mal gelesen hatte. Trotzdem konnte er sich nicht erinnern, je wieder etwas so Schreckliches gelesen zu haben. Der Priester war derart hemmungslos vorgegangen, dass der damals die Untersuchungskommission leitende Erste Sekretär besorgt über die möglichen Folgen dieser gottlosen Aktion eine Protestnote an die Kongregation für Glaubenslehre in Rom gesandt hatte, man möge diesen Mann sofort nach Hause schicken: ›Dieser Offizier schreckt vor nichts zurück!‹
Nach seiner Ankunft im Kloster von Silos hatte sich Roberto in weniger als fünf Tagen bereits den Ruf eines Psychopathen eingehandelt, der ihm den Name ›Schlächter von Rom‹ eingebracht hatte. Die Einsatztruppe der Priesterbruderschaft war daraufhin aufgelöst worden, denn eine Herde schwarzer Schafe konnte sich die Kirche nicht leisten.
Dennoch hatte sich der Vatikan auch weiterhin des Priesters bedient, was der Kardinal bei besonders heiklen Problemen auch sehr zu schätzen gewusst hatte. Auch wenn man dem Priester weitere Grausamkeiten dieser Art untersagt hatte: Den erlesenen Kreis der Eingeweihten hatte er mit Grausamkeiten ohne Gleichen stets aufs Neue überrascht.
Der Bericht von Silos stellte jedoch nach wie vor alles Folgende in seinen Schatten. Die Brutalität, die hier beschrieben wurde, war beispiellos. Nicht nur jeden Aspekt der Folterung, wie ihn die Bibel beschreibt, hatte der Offiziers-Exorzist Roberto damals in sehr makaberer Buchstäblichkeit umzusetzen gewusst, vielmehr hatte er seinem Opfer noch
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