Wächter des Mythos (German Edition)
Schauer über den Rücken und plötzlich sah er den Raum um sich herum nur noch verschwommen. Die Zeichen wurden zu boshaft funkelnde Prismen. Er wandte den Kopf ab und blinzelte.
»Wie konnte der Kelch diesem alten Ketzer aus Basel nur in die Finger fallen? Die darauf eingravierte Zeichenfolge galt Jahrhunderte lang als verschollen, bis ich sie auf den Abzügen von Silos wiederentdeckte!«, murmelte Kardinal Joseph Walter ärgerlich vor sich hin. Vor Kurzem erst war dann dieser merkwürdige Bericht von einem Priester aus Spanien eingegangen. Er hatte sich vage darüber beschwert, dass es ein identisches Gefäß gäbe, welches das heilige Relikt seiner Kirche infrage stelle. Anbei zwei Fotografien, auf dem einen war eindeutig wieder der Kelch aus Silos zu sehen.
Die Nachforschungen vor Ort hatten zwar keine Entschlüsselung der Zeichenfolge, aber die erstaunliche Identität beider Gegenstände ergeben. Der spanische Priester hatte sich gegenüber dem Gesandten aus Rom als sehr verschlossen erwiesen. Dennoch war Dr. Bernards Name im Zusammenhang mit dem Kelch aus Silos gefallen und nach all den Jahren hatten sie somit ihre erste Spur gehabt. Sie ließen Dr. Bernard von einer renommierten Detektei beschatten. Kaum hatten sie über den alten Ketzer erste Ergebnisse vorliegen, als sein verflixter lokaler Zeitungsartikel in Basel erschien. Nur wenige Eingeweihte, selbst hier im Vatikan, wussten Bescheid über die Bedeutung der Zeichen auf dem Kelch. Zum Glück gab es kaum jemanden, der in der Lage war, die Zusammenhänge zu erkennen.
Dass sich irgendjemandem allein aufgrund dieses Artikels das ganze Mysterium erschloss, erschien dem Kardinal unmöglich. Er wusste selbst nicht alles, und seines Wissens war es seit Jahrhunderten auch niemandem gelungen, diese Zeichen wirklich zu entschlüsseln. Aber vielleicht ja doch. Vielleicht stellte dieser verfluchte Dr. Andreas Bernard aus Basel die einzige Ausnahme dar.
Schon allein die Vorstellung, dass eine Entschlüsselung nach all den Jahrhunderten überhaupt noch möglich war, ließ das bloße Entsetzen in seine Knochen fahren. Was für pflichtvergessene Seelen trugen die Schuld daran, dass in all den Jahrhunderten noch niemand daran gedacht hatte, die unseligen Zeichen für immer zu entfernen? Papst Clemens V. traf definitiv keine Schuld, er war kurz nach dieser Aufzeichnung am 20. April 1314 verstorben.
Der Kardinal schlug den schweren Band zu und seufzte. Dieses Versäumnis konnte zwar nicht korrigiert, die Bedrohung aber verhindert werden, denn die Gefahr ging jetzt nicht mehr von einem wissbegierigen greisen Akademiker aus. Wer auch immer dieser schwarze Höllenhund mit Namen Gabriel Diaz seien mochte, er musste aufgehalten werden, noch bevor er dieses Geheimnis der ganzen Welt preisgeben konnte.
* * *
Als das Flugzeug in eine scharfe Kurve ging und die Landeklappen und das Fahrgestell ausfuhren, schärfte sich Gabriel ein, seine Gedanken zu ordnen und bestimmte Ereignisse der vergangenen Tage in einen Winkel seines Bewusstseins zu verbannen, wo sie ihm nicht in die Quere kommen konnten. Denn sobald er seine Empfindungen analysierte, liefen sie auf das vage Gefühl hinaus, den alten Bernard nicht vor seinem tödlichen Schicksal bewahrt zu haben. Kurz darauf landete er in der als Rose des Nordens bekannten Stadt Chiang Mai.
Nachdem Gabriel die klimatisierte Flughafenhalle verlassen hatte, schlug ihm die ungewohnt feuchte Hitze des tropischen Klimas entgegen. Er hatte das unangenehme Gefühl, als träfe ihn ein drückender und zähflüssiger Wärmeschwall. Gabriel zog sich die Jacke aus und knöpfte sich das Hemd auf. Unverhofft spürte er die stechenden Strahlen der Sonne im Nacken wie das Brennen nach einem kräftigen Schlag auf der bloßen Haut.
›Amazing Thailand‹ lockte ein buntes Werbeplakat mit touristischen Sehenswürdigkeiten der Stadt Chiang Mai. Doch für die große Anzahl an faszinierenden, zum Teil antiken Tempelbauten im nordthailändischen Stil hatte Gabriel jetzt keine Zeit. Er ging zur Autovermietung hinüber, nahm sich einen Mietwagen und machte sich sogleich auf den Weg, um Chom-Thong, das Ziel seiner Reise, noch am heutigen Tag zu erreichen.
Mithilfe seines GPS hatte er sich sofort eine Orientierung über das Straßennetz verschafft und die Stadt kurz darauf verlassen. Außerhalb der Hauptstadt der Provinz Chiang Mai durchzogen Reisfelder die fruchtbare Ebene. Hin und wieder führte ihn die Straße durch Kleinstädte, in denen der sonst
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