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Wächter des Mythos (German Edition)

Wächter des Mythos (German Edition)

Titel: Wächter des Mythos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Saurer
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weiteres Vorgehen planen können. Bei Bedarf buchen wir uns dann einen Inlandsflug.«
     
    * * *
    Für Sandino hatte die katholische Kirche von Jugend auf all das bedeutet, was für andere ihre Familie war: Brüder und Schwestern sowie einen Vater. Eine Mutter zu haben, hatte er als Vollwaise nie erlebt. Sandino war sich seines Mangels an Dankbarkeit durchaus bewusst, denn die Kirche hatte aus ihm nicht nur einen brillanten und disziplinierten Schüler gemacht, sie hat ihn auch so gefördert, dass er es letztlich bis in den Rang eines Diplomaten in den Vatikan geschafft hatte.
    ›Prüfe nicht, sondern glaube! Dein Glaube wird dich retten.‹ Im Gegensatz zu vielen anderen Priestern konnte Sandino diesem Grundsatz nicht folgen, da dies nicht seinem Wesen entsprach. So wurde der Glaube dank seines disziplinierten Charakters für ihn zu etwas rein Formalem, in seinem Falle ersetzte es in gewisser Weise sogar den Glauben. Padre Vicente lag gar nicht mal so falsch, wenn er ihn Bernhard von Clairvaux und dessen Templern zuordnete. Denn im Geheimen strebte er wie sie nach einem Himmelreich auf Erden und wirkte damit bewusst einer Geistigkeit entgegen, die sich von der kirchlichen Tradition doch sehr unterschied.
    Nun lag Sandino auf dem Rücken in seinem Bett. Wegen der Zeitverschiebung konnte er nicht schlafen und wälzte sich unruhig hin und her, als jemand zaghaft an die Tür geklopfte.
    »Monsignore de Vegio, hören Sie mich?«, flüsterte der Sekretär des Apostolischen Nuntius. »Seine Eminenz bat mich, Ihnen auszurichten, Sie mögen bitte in sein Büro kommen.«
    Sandino stand auf und zog sich den Morgenmantel über, dann öffnete er die Tür und musterte den vor ihm stehenden Sekretär. Sein prüfender Blick entlockte diesem ein verlegenes Lächeln. Er fuhr sich etwas unbeholfen über sein schütteres Haar, das er peinlich genau so hingekämmt hatte, dass es die Fläche seiner Halbglatze fast vollständig verdeckte.
    »Seine Eminenz verlangt nach mir? Haben Sie eine Ahnung, warum er mich jetzt noch in seinem Büro sehen will?«
    »Nein, Monsignore de Vegio, doch es wird zweifellos wegen etwas Wichtigem sein.«
    Damit wandte er sich zum Gehen und Sandino blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Als sie vor dem besagten Büro standen, ließ ihn der Sekretär sofort eintreten. Zu Sandinos Überraschung ging der Apostolische Nuntius im Vorzimmer voller Ungeduld auf und ab, statt ihn entspannt in seinem Büro zu erwarten.
    »Monsignore de Vegio«, murmelte er nervös und wandte sich gleich zur gegenüberliegenden Tür, »kommen Sie bitte in mein Büro.«
    Etwas zerstreut blinzelte Sandino auf seine goldene Armbanduhr, es war elf Uhr nachts. Er setzte sich in den ihm zugewiesenen Sessel, der vor dem Arbeitstisch des Nuntius stand. Dieser setzte sich hinter den Tisch und goss aus einer bereitstehenden Karaffe Wasser in zwei Gläser. Aus dem einen nahm er einen Schluck, während er das andere Sandino zuschob.
    »Verehrter Sandino«, sagte der Apostolische Nuntius nun aufgebracht, »ich habe Dr. Bernards Artikel per Fax erhalten und sie alle gelesen. Ohne Zweifel sind sie voll von Thesen, die mehr als nur einer theologischen Zensur bedürften. Denn wenn er darin seine Thesen vorträgt, so offenbar nur mit dem Ziel, das kirchliche Autoritätsgefüge zu untergraben und damit die katholische Religion umzustürzen.«
    Sandino trank nun seinerseits erstaunt einen Schluck, bevor er leise hinzufügte:
    »Warum reagieren Sie so zornig, Eminenz?«
    » Warum ?« Die Frage kam ganz ohne Höflichkeit. »Das liegt doch wohl auf der Hand. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, weshalb Euch der Heilige Vater aus Rom hergeschickt hat.«
    »Eure Eminenz«, sagte Sandino beschwichtigend, »der Theologe mag die Religion so beschreiben, wie sie einst vom Vater im Himmel zu den Gläubigen niederstieg. Der Historiker hat jedoch die unvermeidliche Pflicht, den Irrtum der Kirche aufzudecken. Nun, ich bin wegen Dr. Bernards Tochter gekommen, nicht seinetwegen und auch nicht wegen seiner Artikel. Ihr ist wegen eines unserer Priester großes Leid widerfahren.«
    »Nicht den Irrtum hatte dieser Historiker geschildert, sondern die eigene Verderbtheit. Und was die Tochter anbelangt, so kommt sie aus derselben Brut. Oder hat sie versucht, ihren Vater aufzuhalten? Nein! Was dieses entartete Wesen aufgehalten hat, sein Ziel zu erreichen, war die reine und strenge Moral eines wahren Christen! Nur dieser hat unsere Kirche von diesem ungeselligen

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