Wächter des Mythos (German Edition)
ebenfalls laut vor: » ›Ein Mensch tut gut daran, immer in sich zu unterscheiden, was sterblicher und was ewiger Natur in ihm ist.‹ «
»Auch nicht schlecht, doch meins fand ich besser«, sagte Gabriel. »Was meinst du, was wir von alldem halten sollen?«
»Nun«, sagte Alina nachdenklich, »womit soll ich denn anfangen? Alles, was du hier siehst, symbolisiert den Saturn. Du hast ja sein antikes Zeichen auf dem Weg hierher gesehen.«
»Wie meinst du das, ich kenne Saturn nur als Planeten?«
»Die Symbolik des Altars spricht von Saturn als Gott des Ackerbaus. Schau dir mal das stilisierte Ornament um den Sockel des Altars an. Lauter Sicheln, sein Attribut und Symbol für Ernte und Kastration.«
»Für Kastration?«
»In der Mythologie hat Saturn seinen Vater mit der Sichel entmannt, ihn selbst traf später durch seinen Sohn dasselbe Los. Hast du gesehen, was auf dem Altar liegt.«
»Meinst du die Körner?«
»Richtig, dort vor dir stehen eine goldene Schale mit Samen und eine silberne Schale mit Erde, es sind die Symbole des Ackerbaus. Und wusstest du, dass auf körperlicher Ebene dem Saturn das Skelett zugeordnet wird und von den Körpersäften die schwarze Galle?«
»Ich dachte, Galle ist grün?«
» Ach? Ich hab’ da keine Ahnung. Doch die Alchemisten lieben es, von Putrefactio , der Faulung oder Nigredo , der Schwärze zu sprechen. Für sie ist die Schwärze aber auch die Erde oder der Ackerboden, in den das Samenkorn geworfen wird. Es bezieht sich hier wohl alles auf den Prozess der Zersetzung und Trennung, der besagen will, dass es sich beim Tod um ein Zwischenstadium handelt, aus dem heraus dann das neue Leben entstehen kann.
Saturn markiert hier die Schwelle: Den dunkelsten Punkt, den Samen in der Erde, der zugleich die Rückkehr des Lichts ankündigt.«
»Sag mir jetzt bloß noch, du hast das alles in diesem buddhistischen Tempel in Thailand gelernt!«
»Nein, im Buddhismus bin ich noch nicht so weit, deshalb bin ich ja auch in diesen Tempel gegangen. Doch Saturn ist eine interessante Erscheinung. Als Archetypus, wie C. G. Jung es auszudrücken pflegte, verkörpert Saturn den alten Weisen oder auch den Eremiten, der als Hüter an der Schwelle steht. An seiner Seite begegnen wir auch unserer Schattenseite.«
»Na gut, diese Schwelle haben wir ja nun hinter uns. Und was jetzt ? Setzten wir uns zu diesen Skeletten da und warten einfach mal ab, wie es weitergeht?«
»Das war wohl ein Scherz! Ich weiß auch einen: Saturns Zahl ist sieben, rate mal, wie viele Skelette du hier zählen kannst?«, sagte Alina spöttisch.
»Mit unseren beiden werden es demnächst neun sein.«
»Ich hoffe nicht, dass wir so lange bleiben werden. Also, hast du eine Idee, wie wir hier wieder rauskommen?«
»Wenn es um eine alchemistische Lösung geht, dann überlasse ich sie lieber dir. Du bist hier der Profi«, sagte Gabriel bescheiden.
»Na gut, ich schlage vor, wir fangen wieder an zu suchen.«
»Etwa nach dem Ausgang?«, fragte Gabriel erstaunt.
»Nein«, sagte Alina bestimmend. »Wir suchen jetzt besser nach etwas, das uns auffällt.«
Gabriel blickte sie fragend an, dann inspizierte er den höhlenartigen Raum nochmals genau. Auch Alina machte sich an die Arbeit, alles noch einmal sorgfältig zu überprüfen. Sie wollte eben einen weiteren Papierbogen von einem der Skelette lesen, als sie einen überraschten Ausruf von Gabriel vernahm.
»Hast du was gefunden?«, rief sie ihm über die Schulter zu.
»Ich bin mir nicht sicher. Hattest du vorhin nicht von der Sichel als Attribut von Saturn gesprochen?«
»Ja, warum?«
»Bist du dir mit der Sichel auch wirklich sicher?«, fragte Gabriel etwas zögerlich.
»Natürlich bin ich mir mit der Sichel sicher, womit soll er denn sonst kastriert worden sein!«
»Also, ich habe hier eine Schaufel gefunden.«
»Eine Schaufel? Was hat eine Schaufel mit der Symbolik von Saturn zu tun?«, rief Alina erstaunt.
»Du bist hier doch der Profi!«
Alina drehte sich zu Gabriel und starrte die profane Schaufel entgeistert an. Dann ließ sie den Strahl ihrer Lampe langsam durch den Raum wandern und blickte ihm daraufhin ernst ins Gesicht. »Sehr gut, Gabriel! Ich glaube, wir haben gefunden, wonach wir gesucht haben.«
Gabriel sah ungläubig auf die Schaufel. »Ich kann dir nicht folgen ...«
»Gabriel! Die Schaufel ist der einzige Gegenstand, der nicht hierhergehört. Wenn sie nicht zufällig hier vergessen worden ist, haben wir das Richtige gefunden.«
»Und was willst du
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