Wächter
Tank gelegt hatte, geboren. »Meine Güte. Ich bin Großmutter.«
»Bei der Scheidung kämpfte Eugene mit mir um das Sorgerecht. Und er hat gewonnen . Er hatte die besseren Karten. Eugene ist mächtig, und er ist prominent.«
»Aber er war nie sehr menschlich, oder?«, fragte Bisesa.
»Ich hatte natürlich ein Besuchsrecht. Aber das hat mir nicht genügt. Ich bin nicht wie du. Ich brauche klare Verhältnisse. Ich wollte ein Zuhause für mich und Charlie schaffen. Ich wollte - Stabilität. Aber die habe ich auch nicht annähernd bekommen. Und schließlich hat er mich ganz ausgeschlossen. Das war nicht schwer. Sie sind kaum noch auf der Erde.«
Bisesa griff nach ihrer Hand; sie war kalt, und Myra reagierte nicht. »Wieso hast du mir das denn nicht schon früher erzählt?«
»Zum einen hast du mich nicht danach gefragt. Und dann sind wir hier auf dem Mars! Und wir sind hier, weil du die berühmte Bisesa Dutt bist. Du musst dir doch über viel wichtigere Dinge Gedanken machen als über eine verlorene Enkeltochter.«
»Myra, das tut mir wirklich leid. Wenn das alles hier vorbei ist …«
»Ach, sei nicht albern, Mama. Es wird nie vorbei sein; jedenfalls nicht für dich. Aber ich werde dich trotzdem immer unterstützen. Wir sollten das vergessen. Du hattest ein Recht, es zu wissen. Und nun weißt du Bescheid.« Ihr Gesicht war angespannt und die Lippen verkniffen. Grünes Licht spiegelte sich in ihren Augen.
Grün?
Bisesa setzte sich mit einem Ruck auf und schaute zum Panoramafenster hinaus.
In einer lachsrosa Morgendämmerung schlängelte die ausgefahrene Piste sich über eine moosgrüne Ebene.
Paula kam zu ihnen. » Discovery . Die Geschwindigkeit so weit zurücknehmen, dass wir etwas sehen können.« Das Fahrzeug bremste gehorsam mit einem leisen Kratzen in der Mechanik.
Myra und Bisesa verspürten Unbehagen; Bisesa fragte sich, wie viel Paula von ihrem Gespräch wohl mitbekommen hatte.
Nun sah Bisesa auch, dass das Grün ein Teppich aus winzigen Pflanzen war, von denen keine größer war als ihr Daumen. Jedes Pflänzchen sah wie ein lederhäutiger Kaktus aus, hatte aber lichtdurchlässige Abschnitte - Fenster, um das Sonnenlicht einzufangen -, wie Bisesa vermutete, ohne auch nur einen wertvollen Tropfen Feuchtigkeit zu verlieren. Und es gab noch weitere Pflanzen. Sie identifizierte kleine schwarze
Kugeln - rund, um die Wärme optimal zu speichern und schwarz, um sie tagsüber zu absorbieren? Sie fragte sich, ob sie sich nachts wie ein Chamäleon weiß verfärbten, um einen Wärmeverlust zu vermeiden. Aber die Kakteen waren die dominierende Pflanzenart.
»Die Kakteen sind nämlich die Entdeckung, die Helena nach dem Sonnensturm machte«, sagte Myra. »Leben auf dem Mars.«
»Ja«, erwiderte Paula. »Der am weitesten verbreitete mehrzellige Organismus, den wir bislang auf dem Mars gefunden haben. Die unterirdischen Bakterienmatten und die Stromatolithen in Hellas sind zwar noch weiter verbreitet - als reine Biomasse. Aber die Fensterkakteen sind nach wie vor die Stars in der Manege. Die Art ist nach meiner Mutter benannt worden.«
Jeder einzelne Fensterkaktus war ein Überlebender aus tiefen Urzeiten, sagte Paula.
Als das Sonnensystem noch in den Kinderschuhen steckte, waren die drei Schwester-Welten sich für eine kurze Zeit ziemlich ähnlich: Venus, Erde und Mars waren warm, nass und geologisch aktiv. Man vermochte unmöglich zu sagen, auf welchem der drei Planeten zuerst Leben entstand. Mars war aber der Erste, der eine Sauerstoffatmosphäre ausprägte - Brennstoff für komplizierte, mehrzellige Lebensformen -, und zwar Milliarden Jahre vor der Erde. Aber der Mars kühlte sich auch als Erster ab und trocknete aus.
»Aber das hat sehr lang gedauert«, sagte Paula, »mehrere hundert Millionen Jahre. In ein paar hundert Millionen Jahren kann man viel erreichen - die Säugetiere haben die nach dem Verschwinden der Dinosaurier verwaiste Ökologie in weniger als fünfundsechzig Millionen Jahren wieder ausgefüllt. Es ist den Marslebewesen gelungen, Überlebensstrategien zu entwickeln.«
Die Wurzeln der Kakteen waren tief im kalten Gestein des Mars verankert. Sie benötigten keinen Sauerstoff, sondern befeuerten
ihren Kälte-Stoffwechsel mit Wasserstoff, der durch die langsame Reaktion des vulkanischen Gesteins mit Spuren von Wassereis freigesetzt wurde. So hatten sie und ihre Vorfahren Äonen überlebt.
»Es hat immer wieder Episoden vulkanischer Aktivitäten gegeben«, sagte Paula. »Die
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