Wächter
was?«
Sie mussten beide lachen. »Aber Sie erscheinen mir eher …«
»Wie ein Konformist?« Paula hatte noch immer dieses nette Stewardessen-Lächeln im Gesicht, wie Bisesa im Widerschein der Instrumentenbeleuchtung sah. »Es macht mir nichts aus, wenn man das über mich sagt. Vielleicht stimmt es ja auch.«
»Ich habe diesen Eindruck nur, weil Sie Ihren Job so gut erledigen.«
»Das wurde mir wahrscheinlich in die Wiege gelegt«, sagte Paula ungerührt. »Meine Mutter ist das Besatzungsmitglied der Aurora , an das die Menschen sich nach Bob Paxton noch am ehesten erinnern - und wahrscheinlich auch das einzige.«
»Und deshalb sprechen die Besucher so auf Sie an.«
»Das hätte mir aber auch zum Nachteil gereichen können. Weshalb hätte ich es dann nicht in einen Vorteil ummünzen sollen?«
»Gut. Deshalb müssen Sie uns aber doch nicht auf dem ganzen Weg bis zum Nordpol beglucken.« Sie hielt inne. »Sie bewundern Ihre Mutter, nicht wahr?«
Paula zuckte die Achseln. »Ich habe sie nie kennengelernt. Aber wie sollte ich sie nicht bewundern? Bob Paxton ist zum Mars geflogen und hat ihn quasi erobert, und dann ist er wieder nach Hause geflogen. Aber meine Mutter hat den Mars geliebt. Das geht aus ihren Aufzeichnungen hervor. Bob Paxton ist ein Held auf der Erde«, sagte sie. »Aber meine Mutter ist ein Held hier auf dem Mars - unser erster Held überhaupt.« Sie knipste das Stewardessen-Lächeln wieder an. »Noch einen Nachschlag Risotto?«
In der Finsternis des Mars und in der Wärme der Kabine schlief Bisesa auf ihrem Platz ein.
Sie wurde durch ein Schulterklopfen geweckt und stellte fest, dass eine Decke über ihr ausgebreitet war.
Myra saß bei ihr und schaute aus dem Fenster in die Morgendämmerung. Bisesa sah, dass sie durch Dünen fuhren, die zum Teil Dutzende Meter hoch waren - erstarrte Wellen im Abstand von einem oder zwei Kilometern. Eine Art Frost bildete sich in ihrem Windschatten.
»Meine Güte - habe ich die ganze Nacht durchgeschlafen?«
»Alles in Ordnung?«
Bisesa regte sich und prüfte ihre Befindlichkeit. »Bin noch etwas steif. Aber ich glaube, dass selbst eine Bestuhlung wie diese in niedriger Schwerkraft eine komfortable Sitzgelegenheit ist. Ich muss mich erst mal recken und strecken, und dann gibt es eine Katzenwäsche.«
»Du wirst aber auf Alexej warten müssen. Er rasiert sich wieder mal den Schädel.«
»Ich schätze, von dem Anblick werde ich regelrecht hypnotisiert.«
»Lampenfieber. Oder so etwas in der Art.« Myra klang gereizt.
»Myra? Stimmt etwas nicht?«
»Ob etwas nicht stimmt? Mein Gott, Mutter, schau doch mal nach draußen. Nichts. Aber du sitzt stundenlang da und saugst das förmlich in dich auf.«
»Was ist denn daran so verkehrt?«
» Du. Wenn es irgendetwas Fremdartiges gibt, fühlst du dich zu ihm hingezogen. Du schwelgst geradezu darin.«
Bisesa schaute sich flüchtig um. Die anderen schliefen. Sie wurde sich bewusst, dass dies das erste Mal war, dass sie mit Myra seit den Tagen nach dem Erwachen im Hibernaculum - die ihr nur schemenhaft in Erinnerung waren - wirklich allein war - es hatte auf der Maxwell keine Privatsphäre gegeben und in der Kabine der Aufzugs-Spinne schon gar nicht.
»Wir hatten keine Gelegenheit zum Reden«, sagte sie.
Myra wollte aufstehen. »Nicht hier.«
Bisesa legte ihr die Hand auf den Arm. »Komm schon. Wen kümmert es, wenn die Polizei mithört? Bitte, Myra. Ich habe das Gefühl, dass ich dich schon gar nicht mehr kenne.«
Myra lehnte sich zurück. »Genau das ist vielleicht das Problem. Ich kenne dich nämlich nicht mehr. Seit du aus dem Tank gekommen bist - ich glaube, ich hatte mich schon an ein Leben ohne dich gewöhnt, Mama. Als ob du gestorben wärst. Und als du wieder herauskamst, warst du nicht mehr der Mensch, den ich einmal gekannt hatte. Du bist jetzt für mich wie eine verschollene Schwester, die ich plötzlich wiedergefunden habe, und nicht wie meine Mutter. Ob das einen Sinn ergibt?«
»Nein. Aber die Evolution hat auch keine Tiefschlaf-Zeitsprünge für uns vorgesehen, stimmt’s?«
»Worüber willst du überhaupt mit mir sprechen? Ich meine, wo sollen wir denn beginnen? Es sind immerhin neunzehn Jahre vergangen - mein halbes Leben.«
»Fang einfach mit irgendwas an.«
»Gut.« Myra zögerte und wandte den Blick ab. »Du hast eine Enkeltochter.«
Ihr Name war Charlie, für Charlotte - Myra hatte eine Tochter mit Eugene Mangles. Sie war fünfzehn; also vier Jahre, nachdem Bisesa sich in den
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