Wächter
Tharsis-Krater sorgen alle zehn bis hundert Millionen Jahren für ›dicke Luft‹. Die Kakteen wachsen, pflanzen sich fort, schalten sich wieder ab und überleben als Sporen bis zur folgenden Episode. Und dann hat der Sonnensturm für Regen gesorgt, Wasserregen. Die Luft ist so dicht und feucht geblieben, dass sie nun ganzjährig aktiv sind.
Und die Biologen sagen, sie seien mit unseren Lebensformen verwandt. Es existiert hier eine unterschiedliche DNA«, sagte Paula. »Mit einem anderen Basensatz - sechs Basen statt vier - und mit einer anderen Art der Codierung. Das Gleiche gilt auch für die Mars-RNS und die Proteine, die mit unseren nicht völlig übereinstimmen. Bei den zugrunde liegenden Aminosäuren wird auch eine leichte Abweichung vermutet, aber das ist noch umstritten. Aber es gibt RNS und Proteine, das gleiche ›Rüstzeug‹ wie auf der Erde.«
Mars war als junger Planet einem massiven Dauerbeschuss ausgesetzt gewesen, als die neuen Welten von den Trümmern der »Nachwehen« der schweren Geburt des Sonnensystems beharkt wurden. Aber durch dieses Bombardement wurde auch eine enorme Menge Material, das von den aufgewühlten Planetenoberflächen zurückgeschleudert wurde, zwischen den Planeten verteilt. Und dieses Material barg Leben.
Bisesa starrte auf die geduldigen Kakteen. »Dann sind das also unsere Verwandten.«
»Aber sie sind entfernter mit uns verwandt als wir mit irgendeiner anderen Lebensform auf der Erde. Die letzte signifikante Biomassen-Übertragung muss noch erfolgt sein, bevor die DNA-Codierung auf beiden Welten abgeschlossen war. Aber der Verwandtschaftsgrad ist trotzdem so hoch, dass sie nützlich für uns sind.«
»Nützlich? Inwiefern?«
Paula tippte auf eine Softscreen auf der Instrumententafel der Discovery und rief Bilder auf, die zeigten, wie Wissenschaftler von Lowell mit diversen Tricks Marsgene in irdische Pflanzen einschleusten. Damit wurde die Grundlage für eine neue Pflanzenspezies gelegt, die weder rein irdisch noch rein marsianisch war und außerhalb der Druckkuppeln der Kolonien gedieh. Dabei diente sie als Nahrung für die Menschen - und als Sauerstoffproduzent. Einige Biologen betrachteten das schon als Basis für eine Terraformung, als ersten Schritt zur Umwandlung des Mars nach dem Vorbild der Erde. Eine Gruppe hatte sogar ein informelles Motto geprägt: Die Welten gehören uns.
»Ich bin froh« sagte Paula, »dass wir an den Kakteen vorbeigekommen sind. Es ist wichtig, dass Sie darüber Bescheid wissen, Bisesa.«
»Warum?«
»Damit Sie verstehen, was man am Pol gefunden hat.«
»Ich kann’s kaum erwarten«, sagte Myra trocken.
»Und ich kann’s kaum erwarten, ins Bad zu kommen«, sagte Bisesa. Sie stieß sich vom Sitz ab und ließ die Decke auf den Boden fallen. »Alexej? Sind Sie bald fertig da drin?«
Die Discovery erwies sich als »Kilometerfresser« wie ein cybernetischer Stachanow 1 . Um die Mittagszeit hatten sie die Grünanlage hinter sich gelassen und rollten nun über eine öde wellige Ebene.
Danach sank die Sonne mit jedem Tag der Reise tiefer. Schließlich verschwand sie hinterm Horizont, und es gab überhaupt kein richtiges Tageslicht mehr; nur eine Art zwielichtiges Glühen, das den verdunkelten Himmel etwas aufhellte.
Bisesa kannte auch den Grund dafür. Die Achse des Mars war geneigt wie die der Erde; auf der winterlichen Nordhalb
kugel wies der Pol von der Sonne weg, und über die nördliche Hemisphäre senkte sich eine zwölf Monate lange arktische Nacht. Der Unterschied beim Mars war die Schnelligkeit, mit der diese Änderungen erfolgten, wenn man sich nordwärts bewegte; hier wurden die Breitengrade regelrecht abgespult. Ihr wurde überdeutlich bewusst, dass sie über die Oberfläche einer kleinen runden Welt fuhr wie eine Ameise, die über eine Orange krabbelte.
An einem Sonnenuntergang sahen sie eine Wolkenbank am nördlichen Horizont.
In der Morgendämmerung befanden sie sich unter ihr. Die Polarkappe war dick genug, um alle außer den hellsten Sternen auszublenden; Deneb und der Himmelspol waren nicht mehr zu sehen.
Gegen Mittag setzte Schneefall ein.
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LIBERATOR
»Wir haben weniger als fünf Tage gebraucht, um das Sonnensystem zu durchqueren, Thea. Stell dir das mal vor. Und es sind auch nur noch ein paar Stunden bis zur ›Stunde Q‹, unserer Begegnung mit der Bombe …«
Die Liberator hatte die Masse und ungefähre Größe der alten Saturn-V -Trägerrakete. Wo der größte Teil einer Saturn-Masse binnen weniger
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