Wächterin der Dunkelheit: Roman (German Edition)
nicht. Für den Augenblick gab es wichtigere Dinge, die sie mit diesem schrägen Vogel zu bereden hatte. »Ich habe nachgedacht.«
»Und?«
»Und ich bin zu einem Entschluss gelangt. Wenn Sie und Ash dieses Spielchen durchziehen wollen, das Sie offenbar alle paar Jahrhunderte spielen, müssen Sie es schon selbst tun. Ich werde Ihnen nicht dabei helfen, andere Dark Hunter zu töten. Ich will mit dem Verurteilen anderer nichts zu tun haben. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wozu so etwas führt, und das war alles andere als schön. Ich will nie wieder das Blut Unschuldiger an meinen Händen kleben haben.«
Er holte tief Luft, als müsse er erst verdauen, was sie gerade gesagt hatte. »Wir sind aber nicht das Revolutionstribunal«, sagte er schließlich und musterte sie finster.
Sie war erstaunt, dass er den Grund ihrer Entscheidung auf Anhieb durchschaut hatte, doch es änderte nichts. »Nein, Sie sind Richter, Jury und Vollstrecker in einer Person. Für meine Begriffe macht Sie das zu etwas wesentlich Schlimmerem. Wenn Sie mich töten wollen, dann töten Sie mich. Ich wäre lieber ein Shade, als meine Freunde oder selbst meine Feinde so schmählich zu verraten. Glauben Sie mir, nachdem ich selbst so hinterhältig verraten wurde, werde ich es ganz bestimmt keinem anderen antun.«
Seine Augen nahmen wieder ihre unheimliche grüne Färbung an. »Es ist nicht schwer, tapfer zu sein, wenn man keine Ahnung hat, was es bedeutet, ein Shade zu sein.«
»Oh, ich weiß es durchaus. Man wird von ständigem Hunger und Durst getrieben, ohne sie jemals stillen zu können. Niemand kann einen sehen, hören und so weiter und so weiter. Dieses Schicksal ist schlimmer als der Tod selbst, denn es gibt keine Belohnung, keine Wiederauferstehung. Es ist die Hölle. So viel weiß ich.«
»Nein, Danger«, sagte er mit schmerzerfüllter Stimme. »Sie wissen es nicht.«
Aus einem Impuls heraus legte er ihr eine Hand auf die Schulter. Schmerz und grauenvolle Bilder durchzuckten sie. Sie sah einen Mann, den sie nicht kannte. Er stand mitten auf einer überfüllten Straße in New York und schrie, jemand möge ihn doch sehen. Ihn hören.
Er versuchte, die Hände nach den Passanten auszustrecken, doch sie schienen geradewegs durch ihn hindurchzugehen. Und jede Seele, die ihn dabei berührte, bohrte sich wie eine spitze Glasscherbe in seinen Phantomkörper. Es tat weh, brannte und bereitete ihm unsägliche Schmerzen.
Sie konnte den Hunger fühlen, der so tief in seinem Innern nagte, dass sie keine Worte dafür fand. Der Mann litt schrecklichen Durst, der seine Mundhöhle und seine Lippen verbrannte wie ein Feuer, das sich niemals löschen lassen würde. Die erbarmungslosen, unablässigen Schmerzen drohten ihn zu verschlingen, ebenso wie die Einsamkeit, die Sehnsucht nach einem Gespräch, und wenn es nur für einen kurzen Augenblick war.
Etwas in ihm schrie nach Erlösung, bettelte voller Inbrunst darum, sterben zu dürfen.
Er flehte um Vergebung.
Alexion löste seinen Griff und senkte den Kopf. »Das bedeutet es, ein Shade zu sein, Danger. Ist es wirklich das, was Sie wollen?«, flüsterte er ihr zornig ins Ohr.
Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Nicht einmal im Traum hätte sie gedacht, dass es so schlimm sein und dass es eine derartige Hölle geben könnte. Selbst jetzt war das Bild des Mannes noch in ihre Seele eingebrannt und schmerzte auf eine Weise, auf die sie nicht gefasst gewesen war. »Wer ist das?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Er heißt Erius und ist seit mehr als zweitausend Jahren zu diesem Dasein gezwungen.«
Alexions tiefe Stimme hallte in ihren Ohren wider. Er stand so dicht vor ihr, dass sie seinen Atem an ihrem Hals spüren konnte. »Er dachte, er könnte ein Gott sein, bräuchte dafür nur ein paar Menschen zu töten und ihnen wie ein Daimon die Seele herauszureißen. So wie Kyros es gerade tut, hat auch er eine Gruppe Dark Hunter um sich geschart, um sich gegen Acheron und Artemis aufzulehnen. Er könne sie in die Freiheit führen, hat er den Dark Huntern versprochen. Sie alle hätten die Gabe, Götter zu werden. Sie müssten nur auf ihn hören und seinem Beispiel folgen.«
Danger schluckte gegen den Kloß in ihrer Kehle an und sah ihn forschend an. »Haben Sie ihn getötet?«
»Nein«, antwortete er, während sein Blick und sein Tonfall eine Spur milder wurden. »Acheron hat es getan. Er ging zu ihm und versuchte, ihm alles zu erklären, aber Erius wollte nicht auf ihn hören. Er wollte nicht von dem
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