Wächterin der Dunkelheit: Roman (German Edition)
seine haselnussbraun-grünen Augen, als wäre er seinem Freund am liebsten gefolgt. Doch dann schien ihm bewusst zu werden, dass es sinnlos wäre.
»Geben Sie ihm etwas Zeit zum Nachdenken«, sagte sie sanft. »Er kommt schon wieder.«
»Und wenn nicht?«
Dann würde er sterben, und zwar höchstwahrscheinlich durch Alexions Hand. Und so widerwärtig diese Vorstellung für sie war, konnte sie nur spekulieren, wie verheerend es erst für ihn sein musste. Deshalb wäre es grausam, es laut auszusprechen, und etwas sagte ihr, dass Alexion schon mehr als genug Grausamkeit hatte erdulden müssen.
»Kann Ash Ihnen nicht sagen, wie es endet? Er kann doch in die Zukunft blicken, das weiß ich.«
»Ja und nein. Weder er noch ich können die Zukunft vorhersehen, wenn sie mit uns selbst oder jemandem zusammenhängt, der uns nahesteht.«
Ziemlich unfair, fand sie. Was nützte es, in die Zukunft blicken zu können, wenn man denjenigen nicht helfen konnte, die einem am nächsten waren? »Das muss schlimm für Sie sein, das Schicksal aller anderen zu kennen, nur Ihr eigenes nicht.«
Er stieß erschöpft den Atem aus. »Sie haben ja keine Ahnung. Ich finde es regelrecht grausam. Andererseits spielt es vielleicht keine Rolle, da sich die Zukunft auch immer ändern kann. Beispielsweise können Sie eines Tages die Straße entlanggehen, und statt rechts abzubiegen, wie Sie es sonst immer tun, beschließen Sie aus unerfindlichen Gründen, heute einmal einen Umweg zu machen, und gehen stattdessen nach links. Statt also dem Mann Ihrer Träume zu begegnen und mit ihm einen Stall voller Kinder zu haben, werden Sie von einem Eiscremewagen niedergemäht und bringen die nächsten fünf Jahre damit zu, sich mithilfe von Physiotherapie von Ihren Verletzungen zu erholen, oder, was noch schlimmer wäre, Sie kommen dabei ums Leben. Und all das nur, weil Sie von Ihrem Recht auf freien Willen Gebrauch gemacht haben und aus einer Laune heraus einen anderen Weg genommen haben als sonst.«
Allein die Vorstellung bereitete Danger Alpträume, und sie konnte sich nur fragen, durch welche Entscheidung ihr Leben auf so tragische Weise schiefgegangen war. War es Schicksal oder ihr freier Wille gewesen?
»Das ist wirklich morbid. Herzlichen Dank, dass Sie es mir so lang und breit erklärt haben.«
Er verzog das Gesicht, als ihm aufging, welches Untergangsszenario er gerade gezeichnet hatte. »Aber natürlich kann es auch genau umgekehrt laufen.«
»Klar, aber mir fällt auf, dass Sie nicht als Erstes an den positiven Ausgang gedacht haben. Der gute alte Sigmund hätte seine helle Freude an Ihnen, was?«
»Wahrscheinlich«, konterte er flapsig. »Ich werde ihn fragen, wenn ich zurück bin.«
Sie hielt inne, als ihr die Bedeutung seiner Worte bewusst wurde. »Sie kennen Sigmund Freud?«
Sein Grinsen war hinreißend und charmant. »Nein, aber für einen Moment hatte ich Sie ganz schön drangekriegt, was?«
Danger schüttelte den Kopf. Dieser Mann hatte einen seltsam ansteckenden Humor. Die Vorstellung, dass jemand sie so mühelos um den Finger wickeln konnte, war zwar ziemlich nervtötend, doch ihm gelang es von Stunde zu Stunde besser.
»Was machen wir jetzt mit Marco?«, wechselte sie das Thema.
Alexion blickte auf den Leichnam hinab. »Da gibt es nicht mehr allzu viel zu tun.«
Entsetzt stellte Danger fest, dass sich die Leiche bereits zu zersetzen begann. Sie starrte auf den Fleck, wo er noch einige Minuten zuvor gelegen hatte. Abgesehen von seinen Kleidern war nichts mehr von ihm übrig.
» Mon Dieu «, stieß sie hervor. »Ist das bei uns allen so?«
»So geht es allen Menschen«, erwiderte Alexion tonlos.
»Das stimmt«, bestätigte sie mit unüberhörbarer Wut angesichts der Tatsache, dass auch von ihr eines Tages innerhalb kürzester Zeit nichts mehr übrig wäre. »Aber normalerweise dauert es ein bisschen länger als fünf Minuten.«
»Nicht bei einem Dark Hunter.«
Danger starrte noch immer auf die Stelle. Die Vorstellung war zutiefst verstörend, obwohl sie nicht genau sagen konnte, weshalb. Ihr leuchtete nur nicht recht ein, wie der starke Körper eines Dark Hunters innerhalb weniger Minuten zu Staub zerfallen konnte.
Die Endgültigkeit des Todes war ein Schlag für sie.
Alexion zog sie in seine Arme. Ihr erster Impuls war, ihn wegzustoßen, doch offen gestanden, war diese Berührung genau das, was sie in diesem Moment brauchte. Sie brauchte jemanden, der sie davon abhielt, angesichts einer unabänderlichen Tatsache, die sie
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