Wächterin der Träume
in diesem Drecksloch sitzen. Ich weiß nicht, was wir machen sollen, wenn uns die Puppen ausgehen.«
Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie sich im Laden um, dann zeigte ihre Miene plötzlich Erleichterung. »Du weißt, wie man Puppen macht, nicht?« Mit einer Mischung aus Habgier und Verachtung blickte sie auf den Jungen hinunter.
Als er nickte, stieß sie ein bitteres Lachen aus. »Sieht so aus, als könntest du nützlicher sein, als er es jemals war.«
So also fing alles an. Sie unterdrückte und drangsalierte ihn. Eine solche Erfahrung – eine übermächtige, verletzende Frau – musste einfach einen negativen Einfluss auf einen jungen Mann haben.
Als hätte er meine Gedanken gelesen – was aber wohl unmöglich war, oder? –, veränderte sich der Traum. Als ich mich wieder dem Jungen zuwandte, war er plötzlich kein Kind mehr, sondern ein schlaksiger, mürrischer Teenager. Noch immer hielt er die Puppe in der Hand, und auch der Laden war weitgehend unverändert. Nur auf den Regalen saßen jetzt einige andere Puppen, noch wunderbarer als die ersten.
Die Frau stand nun neben dem Jungen und berührte ihn. Sie war mittlerweile älter, aber auf eine bittere Art und Weise noch immer attraktiv. Als ich sah, wie sie dem jungen Mann über Haar und Gesicht streichelte, war mir, als schlängelte sich ein Aal mein Rückgrat hinunter.
»Komm mit nach hinten, junger Mann«, säuselte sie. »Du musst etwas für mich tun.«
Mist. Nicht nur Schikane, sondern auch noch sexuelle Belästigung. Er versuchte, ihre Hand abzuschütteln. »Ich bin beschäftigt.«
Sie stieß einen kleinen Schluchzer aus. »Hast du deine Mama nicht mehr lieb?«
Mann, das war so gemein – wie eine Szene aus einer Seifenoper: Die Sache gefällt dir nicht, aber das Programm lässt sich nicht umschalten.
Da blickte der junge Mann auf. Plötzlich wirkte er gar nicht mehr mürrisch, sondern schuldbewusst und merkwürdig eifrig. »Doch, sicher, Mom.«
Ihre Tränen waren im Nu getrocknet. Sie lächelte süß und reichte ihm die Hand. Als er sie nahm, führte sie ihn in den hinteren Bereich des Ladens.
Was jetzt kam, wollte ich nicht mit ansehen, aber irgendetwas zwang mich, die liegengelassene Puppe vom Sessel aufzuheben. Ihr perlenbesetztes Kleidchen war nicht mehr so schön wie zuvor, und es sah aus, als hätte sie Haar verloren.
Ich erstarrte. Ihr fehlten Haare. Auf ihrem weißen Kopf war ein kleiner kahler Fleck.
Auf einmal wusste ich, das ich unter ihren Rock schauen musste, obwohl ich nicht die geringste Lust dazu hatte. Schwer schluckend ergriff ich den zarten perlenbestickten Stoff mit zwei Fingern und hob ihn hoch. Ich erschauerte, als ich mit dem Daumen einen seidenglatten Schenkel streifte. Das war einfach zu gruselig.
Mit angehaltenem Atem warf ich einen Blick unter die glitzernden Perlen. Mir stieg ein Hitzeschwall in den Kopf.
Jemand hatte eine lebensechte Vagina zwischen die Beine der Puppe gemalt. Ich brauchte nicht lange zu überlegen, wer. Sogar die Schamhaare hatte er nicht vergessen. Vom Aussehen und dem leichten Geruch, den es verströmte, schien es sich um echtes Schamhaar zu handeln. Widerlich!
Aber das war noch nicht das Schlimmste. Die Oberschenkel waren mit einer rostfarbenen Substanz verschmiert. Nur zu gern hätte ich geglaubt, es sei Farbe, aber ich wusste, dass es nicht so war. Mir war klar, dass das Zeug auf den zarten Beinen der Puppe ebenso echt war wie die Schamhaare.
Es war Blut, und ich hätte darauf gewettet, dass es von seinem ersten Opfer stammte.
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Kapitel neun
W äre ich die Heldin in einem Film oder einer Fernsehshow gewesen, dann hätte ich einen Freund bei der Polizei gehabt, dem ich hätte erzählen können, was ich bisher in Durdans Traum erfahren hatte. Nun kannte ich aber außer Bonnies Freund niemanden bei der Polizei, und an den wollte ich mich lieber nicht wenden, selbst wenn eine hauchdünne Chance bestand, dass er mir glauben würde.
Ich hätte ja behaupten können, ich besäße übersinnliche Fähigkeiten, aber das hätten sie mir wohl ebenso wenig abgenommen wie die Tatsache, dass ich tatsächlich im Traum dieses Arschlochs gewesen war.
Oder ich gab ihnen einen anonymen Hinweis und nannte ihnen Phils Namen und die Adresse seines Ladens. Ich hätte sagen können, mir wäre etwas Merkwürdiges aufgefallen. Aber das war mir auch nicht sicher genug.
Das Einzige, worauf ich mich verlassen konnte, war ich selbst.
Vielleicht handelte ich wirklich unverantwortlich
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