Wächterin der Träume
schüttelte den Kopf. »Ein Video. Es ist auf YouTube.«
Wir schwiegen für eine Weile und genossen die fröhliche Stimmung. Aber dann musste ich mich natürlich nach Amanda erkundigen. »Wie geht’s Amanda?« Damit hatte der Spaß ein Ende.
»Besser.« Ein richtiges Plappermaul, mein Noah.
Ich tätschelte seine Hand, die auf meinem Bauch lag. »Sie wird schon wieder.« Das war weder ein Versprechen noch eine leere Phrase, sondern etwas, das ich instinktiv wusste. Sie musste wieder gesund werden, sonst steckten er und ich in Schwierigkeiten. Auch das sagte mir mein Gefühl.
»Du kannst nicht alles wiedergutmachen«, erwiderte er mit einem winzigen Unterton von Bitterkeit, der, wie ich mir selbst sagen musste, nicht gegen mich gerichtet war.
»Doch, kann ich.« Ich versuchte, unserem Gespräch erneut eine heitere Note zu geben, weil ich nicht wollte, dass die wirkliche Welt in unser Beisammensein einbrach, aber ich hätte lieber den Mund halten sollen.
»Du kannst nicht dafür sorgen, dass der Mistkerl für seine Taten bezahlt.«
Ich vermochte nicht mehr klar zu denken, sonst hätte ich die Worte niemals ausgesprochen: »Klar kann ich das. Wenn ich will, hält er sich für eine Kanalratte. Ich könnte auch dafür sorgen, dass er den Rest seines Lebens in einem endlosen Alptraum verbringt.«
Noah wurde ganz still und blickte mich eindringlich an. »Ist das nicht gegen das Gesetz?«
Ich zuckte die Achseln. »Sicher, aber sie haben früher ja auch nichts gesagt.« Stimmt, hätte ich sagen sollen, und es kommt deshalb nicht in Frage. Ich hätte Noah gar nicht erst auf die Idee bringen sollen – oder mich selbst. Aber jetzt war es heraus und stand zwischen uns im Raum.
»Jackey Jenkins.« Ich war überrascht, dass er sich an den Namen erinnerte. »Was genau hast du mit ihr angestellt?«
Ich machte die Augen zu und versuchte, ruhig zu bleiben und nicht daran zu denken. »Weiß ich nicht mehr.«
Zum Glück beließ er es dabei. Jeder hatte seine Geheimnisse, und bis auf weiteres respektierten wir das. Doch eines Tages würde er mehr erfahren wollen. Und eines Tages würde ich ihn nach seinem Vater fragen. Aber nicht heute.
»Versprich mir, nichts zu unternehmen«, bat er leise. Seine Stimme war sanfter als zuvor an Amandas Tür, als er etwas Ähnliches zu mir gesagt hatte. »Er ist es nicht wert, dass du dich seinetwegen in Schwierigkeiten bringst.«
Dieses Versprechen konnte ich ihm nicht geben. Und in gewisser Weise störte es mich auch, dass er mich darum bat. Er selbst hätte etwas unternommen, wenn er könnte, und nichts hätte ihn aufgehalten. »Ich verspreche dir, mich nicht in Schwierigkeiten zu bringen.« Hoffte ich wenigstens.
Er zog mich eng an sich. »Ich meine es ernst, Dawn. Ich möchte nicht hören, dass du daran schuld bist, wenn er von der Brooklyn Bridge springt oder sich vor einen Zug wirft.«
»So etwas würde ich nie tun!« Der Tod war viel zu gut für diesen Dreckskerl. Und außerdem hätte dann jemand die Gleise saubermachen müssen.
Ich spürte, wie sein Körper sich entspannte. »Gut.«
»Du hältst nicht viel von meinem gesunden Menschenverstand, was?« Ich warf ihm einen schrägen Blick zu. Er vergrub sein Gesicht in meinem Haar. »Doch, schon. Aber dein Sinn für Gerechtigkeit macht mir Sorgen.«
Ich musste lachen. »
Mein
Sinn für Gerechtigkeit? Du würdest den Kerl doch windelweich prügeln, wenn du könntest.«
»Das ist was anderes.«
»Ist es nicht. Gib’s auf.« Ich blickte ihn finster an und war froh, dass ich ihm nichts von Durdan erzählt hatte.
»Ist es doch.« Ich hörte die Belustigung in seiner Stimme und hätte ihm dafür am liebsten eine geknallt. »Wenn ich einen Typen zusammenschlage, lande ich vielleicht im Gefängnis, aber wenn du etwas unternimmst, könnte das dein Leben für immer verändern. Das ist niemand wert.«
Noah schon, das begriff ich klar und deutlich. Vieles von dem, was ich tat, tat ich nur für ihn. Sicher, ich versuchte, Amanda zu helfen, aber hauptsächlich wollte ich verhindern, dass Noah sich verantwortlich fühlte. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich mich anhöre wie eine gesprungene Schallplatte, aber ich hatte wirklich Angst, Amanda könnte ihm etwas geben, dass er von mir nicht bekam. Das hatte nichts mit Sex oder Liebe zu tun. Bei ihr konnte er den Beschützer spielen. Sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte. Ich nicht. Irgendwie konnte ich nicht verstehen, wie Noah damit klarkam, wo er doch unbedingt den Helden spielen
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