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Wächterin der Träume

Wächterin der Träume

Titel: Wächterin der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Smith
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leichtsinnig, aber so konnte es nicht weitergehen. Ich wollte mich nicht dumm anstellen, sondern nur das Richtige tun.
    Und solange ich ihn nicht verletzte, war alles in Ordnung.
    Ich ging den Korridor entlang, in dem Phillip Durdan und seine Mutter verschwunden waren. Ich hoffte ehrlich, sie wären mit dem, was sie taten, fertig, doch für alle Fälle gab ich dem Traumreich einen kleinen »Schubs« und drückte mir selbst die Daumen, dass dadurch etwas Zeit vergangen war. Dann öffnete ich die Tür am Ende des Korridors.
    Phil befand sich allein in einer Art Werkstatt. Überall verstreut lagen Puppenteile – es sah aus wie bei einer Bühnenshow von Alice Cooper. Phil wusch etwas in einem Waschbecken. Als ich ihm über die Schulter blickte, sah ich eine lange Strähne roten Haars in seiner Hand. Das Wasser, das in den Abfluss lief, war braun. Blut.
    Er summte bei der Arbeit vor sich hin. Ich konnte seine Fröhlichkeit spüren. Welche Dämonen ihn auch treiben mochten, jetzt, da er seine Trophäe behutsam wusch und ordnete, regten sie sich jedenfalls nicht.
    Ich blickte mich um – denn sonst hätte ich ihm die Augen mit den Fingern herausgerissen. Auf dem Tisch lag ein Puppenkörper und daneben eine Auswahl an Kleidern. Der Kopf war noch kahl und wartete auf das frisch gewaschene und bald auch frisierte Haar.
    Über die Schulter warf ich erneut einen Blick auf Phil. Er hatte mich noch nicht bemerkt. Ich brauchte noch einen Moment, um mir zu überlegen, wie ich vorgehen sollte. Am besten wäre es, wenn ich ihn überreden könnte, sich der Polizei zu stellen. Aber wie? Mir schwirrte schon der Kopf, Adrenalin raste durch meine Adern. Mit Verek hatte ich ein bisschen Gestaltwandeln geübt – etwas, das die meisten Traumwesen beherrschten –, hatte es jedoch noch nie unter ähnlichen Umständen und einem solchen Druck praktiziert. Um wirklich überzeugend zu sein, musste ich mich buchstäblich in eine andere Person verwandeln. Ein einigermaßen ähnliches Abbild genügte da nicht.
    Ich konnte mir das Aussehen einer seiner Puppen geben, aber vielleicht gefiel ihm das ja. Vor seinen Puppen hatte er keine Angst – schließlich waren sie machtlos. Das Gleiche galt für seine Opfer. Wenn ich zu Amanda wurde, würde er mich vermutlich zärtlich anblicken. Ganz bestimmt hatte er keine Angst vor einer Frau, der er bereits alle Kraft geraubt hatte.
    Aber wie war es mit einer Frau, die ihm
seine
Kraft genommen hatte?
    Ja, das ginge. Aber ob ich es schaffte?
    Jetzt war es an der Zeit, herauszufinden, ob ich, ebenso wie Morpheus, imstande war, eine vollkommen andere Gestalt anzunehmen. Um mich besser konzentrieren zu können, schloss ich die Augen und holte ihr Bild aus seinem Unterbewusstsein – wie sie aussah, sprach und sich anfühlte. Ich ließ ihre Essenz über mich strömen, mich einhüllen, mich durchdringen. Mit erstaunlicher Leichtigkeit wurde ich sie. Ich spürte ihr Gift, empfand jedes einzelne ihrer miesen kleinen Gefühle.
    Irgendwo regte sich Jackey Jenkins im Schlaf, als dieser Aspekt meiner selbst erneut lebendig wurde und sich freudig aus seinen Fesseln befreite. Ich wusste es, weil ein kleines Stück von ihr noch immer in mir saß.
    Falls jeder Mensch wirklich einen Schatten-Archetyp besitzt, dann war das hier meiner. Er war in den finsteren Winkeln des Traumreichs zu Hause. Dieser Teil meiner selbst wusste, wozu er fähig war, und genoss es.
    Ich versuchte das Vergnügen, das ich empfand, zu verdrängen, und konzentrierte mich auf mein Vorhaben. Ich durfte ihn nicht verletzen und würde es auch nicht tun.
    Ich hätte ihm gern so zugesetzt, dass er für den Rest seines Lebens sabbernd um Gnade winselte – gefangen in einem nicht enden wollenden Alptraum. Ich hätte es tun können. Hätte dafür sorgen können, dass er nie mehr derselbe war.
    Aber ich wusste, dass es besser war, ihm das Entsetzliche seiner Taten vor Augen zu führen.
    »Du warst ein sehr ungezogener kleiner Junge, Phillip«, sagte ich in der spröden, rauchigen Stimme, die ich von ihr gehört hatte.
    Phil erstarrte und richtete sich mit einem Ruck auf, drehte sich jedoch nicht um. Ich spürte den Geschmack seiner Furcht auf meiner Zunge. Wie Federn kitzelte er mich an den empfindlichsten Stellen.
    Mit geziertem Hüftschwung ging ich auf ihn zu, die Hände in den Seiten zu Fäusten geballt. Sie hasste ihn. Hasste ihn – und war doch von ihm abhängig. Er stellte für sie alles dar, was sie an ihrem verschwundenen Ehemann verabscheute.

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