Wächterin der Träume
leid.«
»
Dir
tut es leid?« Er umfasste mein Gesicht und hob mein Kinn mit überraschend sanftem und gleichzeitig festem Griff. »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, Dawn.«
Ich konnte mir vorstellen, wie grässlich ich mit meinem verschmierten Make-up aussah. »Aber ich wollte doch Amanda helfen, und jetzt wird er davonkommen, es sei denn, jemand gibt der Polizei einen Tipp.«
»Doc, niemand hat mehr für Mandy getan als du.«
Mein Gesicht entspannte sich. »Du bist mir nicht böse?«
Er legte den Kopf schief. »Weil du Amanda helfen wolltest? Nein. Weil du dich unbedingt in die Scheiße reiten musstest? Ein bisschen. Du solltest nicht solche Risiken eingehen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Wenn nicht ich, wer dann?«
»Es ist vorbei, Doc. Ich habe eine von Durdans Visitenkarten gefunden und gleich heute Morgen die Polizei benachrichtigt. Ich habe ihnen von der Puppe berichtet, die du gesehen hast, und ihnen alles erzählt.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Alles?«
Er lachte leise. »Vielleicht doch nicht alles, aber genug, dass sie sich für ihn interessieren.«
Mir wurde ganz schwindelig. Jetzt spielte es keine Rolle mehr, was die Oberste Wächterin unternahm. Und was ich getan hatte, spielte auch keine Rolle mehr. Eins zu null für die Sterblichen.
»Gott sei Dank.« Wenn die Polizei Durdans Werkstatt durchsuchte, würde sie alle nötigen Beweise finden. Bestimmt.
»So«, sagte Noah und drückte mich noch einmal, bevor er mich losließ. »Lass uns eine Kleinigkeit essen, und dann gehen wir zu mir und bringen alles wieder in Ordnung.«
Das klang in meinen Ohren unglaublich süß. Ich ergriff meinen Mantel, machte das Licht aus und schloss mein Büro ab. Da keiner mehr da war, schaltete ich den Alarm ein. Die Putzkolonne, die abends kam, kannte den Code. Dann gingen wir.
Es war ein kühler, aber angenehmer Abend. Ich vermisste die langen sonnigen Sommertage und fand es schade, dass es schon so früh dunkel wurde. Bald würde es schon um vier Uhr finster sein. Scheußlich! Allerdings brachte mir der Winter in der Regel mehr Klienten. Die Dunkelheit, Kälte und Weihnachtsfröhlichkeit trieben die Menschen in die Depression. Wenigstens etwas, worauf ich mich freuen konnte.
Die Praxis lag zwischen der zweiundvierzigsten und dreiundvierzigsten Straße auf der Madison Avenue, die um diese Tageszeit sehr belebt war. Viele Leute eilten zur Grand Central Station, um ihren Zug zu erreichen, oder waren auf dem Weg zu einer Bushaltestelle. Ich war froh, dass ich nur wenige Blocks weiter südöstlich in Murray Hill wohnte. So brauchte ich, außer bei richtigem Sauwetter, nicht mehr mit dem Zug zur Arbeit zu fahren.
Hand in Hand gingen Noah und ich die Dreiundvierzigste entlang Richtung Fifth Avenue und sprachen über unseren Tag. Es war, als hätte es nie eine Missstimmung zwischen uns gegeben, doch ich wusste, dass alles später in Noahs Wohnung noch zur Sprache kommen würde. Es gab einiges, worüber wir reden – und wofür wir uns entschuldigen mussten.
Ich freute mich, dass eine weitere Galerie Interesse an Noahs Bilder gezeigt hatte. Obwohl wir noch nicht lange zusammen waren, war ich sehr stolz auf seine Arbeit und seinen wachsenden Erfolg.
Und selbstverständlich fühlte ich mich geehrt, weil er mich gemalt hatte. Auf dem Gemälde »Der Nachtmahr«, das in seinem Schlafzimmer hing, hielt ich einen schlafenden Mann in den Armen und wirkte dabei fast wie ein Engel. Der Mann war Noah. Er hatte mir damals das Bild gezeigt, um alles über meine wahre Natur herauszufinden.
Komisch, aber wenn die Sache mit Karatos nicht gewesen wäre – alles in allem eine der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens –, dann wären Noah und ich wahrscheinlich niemals ein Paar geworden. Damit will ich sagen, dass negative Dinge auch positive Folgen haben können, verstehen Sie? Ich sollte ein Buch darüber schreiben. Vielleicht würde es die Bestsellerliste der
New York Times
stürmen und mich zu einem Superstar machen. Dann könnte ich bei Oprah Winfrey auftreten und brauchte nie mehr zu arbeiten.
Hey, man durfte doch wohl noch träumen, oder?
Wir kamen gerade aus einem Starbucks und hatten jeder einen dampfend heißen Becher Caffè Latte in der Hand, als Noahs Handy klingelte. Er warf einen Blick auf die Nummer, bevor er es aufklappte. Wenn es nicht wichtig gewesen wäre, hätte er wohl nicht abgenommen. »Hallo, Mandy.«
Amanda. Ja, sie war eindeutig wichtig. Ich nippte an meinem Kaffee und
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