Wächterin der Träume
Zweihundert-Dollar-Hemd ziehe ich schließlich nicht für jeden an, Doc.«
Ich blinzelte erstaunt. Mir schien das für ein Hemd sehr teuer zu sein. Andererseits gehörte Noah zu den Menschen, die gern ein paar gute, haltbare Stücke besaßen, wohingegen ich mir lieber zu jeder Saison etwas Neues leistete. Deshalb kaufte er bei Armani und Gucci, und ich überall dort, wo es Sonderangebote gab.
»Aber du bist nicht nur wegen des Essens hier.« Ich war nicht bereit, lockerzulassen – wie ein Hund mit einem Knochen.
Er schüttelte den Kopf und steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Nein. Können wir reden?«
Ich deutete auf das Sofa, und nachdem ich Bonnie gesagt hatte, dass ich nicht gestört werden wollte, setzte ich mich zu Noah.
»Was ist los?« Ich war nervös. Obwohl bisher doch alles glatt lief, rechnete ich beinahe mit einem dieser »Es liegt nicht an dir, sondern an mir«-Gespräche. So weit zu meinem Optimismus.
Noah stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und verschränkte die Hände. Eine Strähne seines tintenschwarzen Haares fiel ihm in die Stirn, als er mir einen düsteren Blick zuwarf. »Letzte Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum.«
Ich grinste erleichtert. Doch keine rücksichtsvolle Trennung. »So merkwürdig ist das nicht. Du hast es doch bestimmt schon mal mit anderen Frauen gemacht.«
Noah hat diese Art, einen völlig ausdruckslos anzusehen, die vermittelt, dass er den Witz verstanden hat, ihn aber nicht lustig findet. So blickte er mich jetzt an. »Mit Hunderten, aber das meinte ich nicht.«
Hunderte? Er machte hoffentlich nur Spaß. »Was meintest du denn, du liederlicher Kerl?«
Er zuckte leicht zusammen, dann grinste er. »So hat mich noch niemand genannt.« Er zuckte die Achseln und blickte wieder ausdruckslos drein. »Ich glaube, ich bin der Obersten Wächterin begegnet.«
Na, das trieb auch mir das letzte Fünkchen Humor aus. »Was?« Es war fast wie damals mit Karatos. Eines Tages teilte Noah mir mit, es käme ihm so vor, als wollten seine Träume ihn töten, und dass die ganze Welt aus den Fugen geraten zu sein schien.
»Es war eine große, strenge Frau mit rotem Haar.« Er rieb sich das Kinn. »Sie strahlte Macht aus – wie du manchmal.«
Das kam ihm bestimmt nur so vor, weil ich seine Freundin und das einzige Traumwesen war, das er persönlich kannte. »Hat sie etwas zu dir gesagt?« Mein Herz klopfte heftig, und ich hatte ein kühles Gefühl im Nacken – als wäre mein Blut plötzlich kälter geworden.
»Ja.« Er runzelte die Stirn und erwiderte zögernd meinen Blick. Ich mochte es nicht, wenn Noah zögerte. Das bedeutete meist nichts Gutes. »Sie sagte, ich sei deine schwache Stelle. Sie sagte, wenn du mir etwas bedeuten würdest, sollte ich mich von dir trennen, denn durch mich könnte sie leicht an dich herankommen.«
Wut stieg in mir hoch – und Furcht. »Dieses verdammte Biest!« Mein rechtes Auge zuckte. Hinter der Iris meiner Augen breitete sich ein Brennen aus wie von aufsteigenden Tränen, doch was da schwelte, waren keine Tränen. Unsanft wurde ich daran erinnert, was für ein Freak ich war und warum mich die Oberste Wächterin so verabscheute.
Für jemanden, den man vor kurzem bedroht hatte, war Noah erstaunlich ruhig. »Du musst es Morpheus erzählen. Wer dich bedroht, verletzt bestimmt irgendein Gesetz.«
Noah hatte recht. Ein Mitglied der königlichen Familie zu bedrohen sollte eigentlich verboten sein. Aber die Oberste Wächterin hatte nicht nur das getan, sondern obendrein einen Träumenden – Noah – in Gefahr gebracht. Sie musste doch wissen, dass sie damit selbst auf ihre ganzen kostbaren Gesetze pfiff! Warum also hatte sie es getan? Weil sie wusste, dass sie mich am ehesten aus der Reserve locken konnte, wenn sie jemanden angriff, der mir nahestand.
Karatos hatte es genauso gemacht. Er hatte eine meiner Klientinnen getötet und versucht, Noahs Körper in Besitz zu nehmen. Ich wollte verdammt sein, wenn ich zuließ, dass die Oberste Wächterin ihm auch etwas antat.
Langsam drehte ich den Kopf und stand auf. Meine Knie zitterten. »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
Angesichts meines reservierten Tons hob Noah eine Augenbraue. »Sie sagte, ich sei ›einer von ihnen‹, was immer das bedeuten soll.«
Das ließ sich vielleicht herausfinden. Aus Gewohnheit ging ich zum Badezimmer. Die innere Aufregung ließ meine Schritte unbeholfen erscheinen, als wären mir die Beine eingeschlafen.
Noah folgte mir. »Was hast du
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