Wächterin der Träume
aufwecken könnte.«
Mit gerunzelter Stirn trank Noah einen Schluck Kaffee. »Ich dachte, das ist unmöglich.«
»Das sollte es zumindest sein.«
»Zweifelst du daran?«
»Ich bin der lebende Beweis dafür, dass auch Unmögliches möglich ist.«
Er grinste mich an. »Stimmt.«
Ich trank meinen Kaffee, und wir saßen eine Weile lang schweigend da. Ich fühlte mich besser, wenn Noah bei mir war – stark und geerdet.
Schließlich brach er das Schweigen. »Bist du ihr böse – deiner Mutter, meine ich?«
»Ja, schon die ganze Zeit.« Ich seufzte. »Ich weiß, dass sie das Recht auf ein glückliches Leben hat, und wir sind auch keine Kinder mehr … Es ist alles nicht leicht für sie, aber manchmal wünschte ich, es wäre noch ein bisschen schwieriger.«
Noah senkte den Kopf wie zu einem Nicken. »Ich war sehr sauer auf meine Mutter und bin es immer noch.«
Das war mir neu. Mit einem Ruck wandte ich den Kopf und blickte Noah überrascht an. »Tatsächlich? Warum?«
»Weil sie zugelassen hat, dass er sie misshandelt. Weil mein Arm nicht an zwei Stellen gebrochen wäre, wenn sie ihn eher verlassen hätte.« Er lächelte grimmig. »Es ist eine Sache, dass man sich verprügeln lässt, doch wenn es um das eigene Kind geht, ist es etwas anderes. Meiner Meinung nach.«
»Aber wenigstens hat sie ihn dann verlassen.«
Sein Blick verriet mir, dass ich ihn missverstanden hatte. »Es war nicht das erste Mal, dass er mich schlug, Doc. Er hatte nur zum ersten Mal etwas getan, was anderen Leuten auffiel.«
Ich schluckte. »Wie alt warst du da?«
»Vierzehn, als wir weggingen.«
»Jetzt bin ich auch ein bisschen sauer auf deine Mutter.«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie hatte Angst. Sie versuchte, das Beste aus ihrer Lage zu machen. In der Rückschau glaube ich, dass es für sie zur Normalität geworden war. Solange kein Blut floss, war es nicht so schlimm, verstehst du?«
Nein, das verstand ich nicht. Zum Glück hatte ich von so etwas überhaupt keine Ahnung. »Es stinkt einem, wenn man ihre Schwächen als menschlich ansehen muss, was? Wenn man erkennt, dass die ganzen Entscheidungen, nach denen wir sie beurteilt haben, ihnen schrecklich schwergefallen sind.«
Er lächelte. »Ich liebe es, wenn du einfühlsam bist.«
Ich stellte meinen Becher auf den Nachttisch und breitete die Arme aus, so dass die Bettdecke herabfiel und Noah ein bisschen nackte Haut zu sehen bekam. »Komm und beweise es mir.«
Und das tat er dann auch.
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Kapitel dreizehn
W enn man bedenkt, welche Irrungen und Wirrungen ich erlebt habe, seit ich erkannt hatte, wer und was ich war, sollte man meinen, dass ich mich keinen falschen Hoffnungen mehr hingeben würde. Doch leider Gottes war ich schon immer eine unverbesserliche Optimistin, sobald ich auch nur den kleinsten Grund dafür sah.
Und genau deshalb machte ich am folgenden Tag einen Fehler. Die Sonne schien, als ich mit einem Caffè Latte light in der Hand auf dem Weg zur Arbeit war. Der Verkehr war nicht ganz so nervig wie sonst, und das Gehupe hielt sich in Grenzen. Ich wurde nur von einer Handvoll anderer Fußgänger angerempelt, denn die Bürgersteige wirkten trotz der Morgenstunde und des schönen Wetters weniger überfüllt. Meine Frisur sah gut aus, meine Haut war tadellos – keine Spur von Pickeln oder flippigen Tattoos – und mein Lipgloss passte zu dem roten Muster auf meiner Bluse. Ich fühlte mich nach dem Wahnsinnssex mit meinem phantastischen Freund einfach großartig. Ich hatte zwei lange getrennte Liebende wieder zusammengeführt, und es wartete reichlich Arbeit auf mich – endlich Klienten!
Ich hätte mir denken können, dass die Axt niedersausen – oder sich zumindest in Position bringen – würde.
Meine ersten beiden Termine verliefen gut. Traumtagebücher, Besprechungen – alles ziemlich ruhig. Zum Glück keine Zusammenbrüche. Ich gehöre nicht zu den Therapeuten, die meinen, ein Klient müsse in Tränen ausbrechen, um Fortschritte zu machen.
Als es Zeit zum Mittagessen war, ging es mir prima. Und noch besser, als ich hörte, dass Noah auf mich wartete. Doch als er in mein Büro trat – schick und cool in einem schwarzen Ledermantel, einem weißen Hemd und ausgeblichenen Jeans –, merkte ich auf den ersten Blick, dass etwas nicht stimmte.
»Du bist doch wohl nicht gekommen, um mich zu einem romantischen Lunch zu entführen, oder?« Ich versuchte, munter zu klingen.
Er setzte ein schiefes Lächeln auf. »Doch, klar. Ein
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