Wächterin der Träume
verdrehte die Augen. Manchmal war er einfach unmöglich. »Nein, aber sie war nackt.«
Die dunklen Augenbrauen schossen in die Höhe, und sein Blick war plötzlich hellwach. »Du kleiner Schmutzfink.« Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Erzähl mir mehr.«
»Wir waren bei Starbucks und tranken Latte«, antwortete ich lachend.
»War die Latte sexy?«
Da konnte ich mich nicht länger beherrschen. Wer hätte über so einen Blödsinn nicht lauthals gelacht? Er musste auch lachen, und noch lange, nachdem wir uns beruhigt hatten, blickten wir einander tief in die Augen.
In diesem Augenblick spürte ich einen Stich im Herzen, so scharf, dass mir der Atem stockte. Ich erkannte, dass ich nicht nur im Begriff war, mich in Noah zu verlieben, sondern es bereits getan hatte.
Ich öffnete den Mund, um ihm von der plötzlichen Erkenntnis zu erzählen, bevor sie mich vollends überwältigte, doch leider klingelte ausgerechnet in diesem Augenblick mein Handy. Ohne Rücksicht darauf, dass ich Noah dabei mein nacktes Hinterteil zukehrte, rollte ich mich auf die Seite und griff nach dem Telefon.
»Hallo?«
»Dawnie?«
»Hallo, Ivy, was gibt’s denn?« Es war meine älteste Schwester.
Ich spürte, wie Noah vom Bett aufstand. »Ich mach uns Kaffee«, flüsterte er und täschtelte mir den Arm. Ich warf ihm einen raschen Blick zu und nickte.
»Ich wollte dir nur sagen, dass der Spezialist heute Mom untersucht hat.«
»Und?« Ivy war eine Meisterin der dramatischen Pausen.
»Oh, Dawnie, sie hat sich tatsächlich
bewegt!«
»Was?« Ich verspürte keine Furcht, dass Mom aufwachen könnte. Nein, ich verspürte nur Überraschung und, na ja, ein bisschen Angst war doch dabei. Was, zum Teufel, war das für ein Kerl, dass er es schaffte, den Bann meines Vaters zu durchbrechen? Das vermochte kein Mensch. Er war bestimmt ein Schwindler.
»Sie hat einen Finger bewegt.«
Darauf hätte ich wetten können. Wahrscheinlich wollte sie ihm den Stinkefinger zeigen. »Das war vielleicht nur ein Reflex, Ivy.« Kaum waren die Worte heraus, wusste ich, dass ich besser den Mund gehalten hätte.
»Du warst doch nicht dabei!«, rief meine Schwester aufgebracht. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Er hat eine Reaktion bei ihr ausgelöst, Dawn. Warum willst du das nicht wahrhaben?«
»Weil er sie erst – wie oft, zweimal? – gesehen hat. Und jetzt soll ich glauben, dass er etwas geschafft hat, was noch keinem gelungen ist?« Nicht einmal mir. Der Gedanke behagte mir ganz und gar nicht, denn wenn es wirklich stimmte, würde das bedeuten, dass dieser Typ einen größeren Einfluss auf meine Mutter hatte als ihre Lieblingstochter – ich. Und falls es wirklich ein menschliches Wesen gab, das eine derartige Macht über die Träume und über meine Mutter besaß, fände ich das mehr als erschreckend.
»Er kann Wunder wirken«, sagte meine Schwester mit einem tiefen Seufzer.
»Ach Quatsch«, murmelte ich. Ich wollte mich nicht darüber aufregen, bevor ich mit meinem Vater gesprochen hatte. Wenn dieser Kerl wirklich so viel Macht besaß, würde Morpheus es merken – und wissen, was er mit ihm anstellen müsste. Hoffte ich zumindest. Vielleicht gehörte das alles aber auch zu dem Versuch, meinen Vater zu schwächen, um ihn zu entmachten.
Mein schöner Tag war verdorben.
»Ich dachte, du würdest dich darüber freuen.«
Das Ganze war schon schwer genug für mich, auch ohne dass Ivy sauer wurde und mir ein schlechtes Gewissen einredete. Ich schwor mir, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Tue ich auch, Ivy. Wirklich.« Das war eine faustdicke Lüge, aber sie klang glaubwürdig, und nur das zählte.
Offensichtlich glaubte sie mir, wofür ich dankbar war. Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten über Mom, bevor wir uns anderen Themen zuwandten, wie dem Rest der Familie, den Kindern und schließlich ihren vielen Fragen über Noah. Jedes Mal, wenn wir miteinander sprachen, versuchte sie, so viel wie möglich über ihn zu erfahren.
An diesem Punkt der Unterhaltung kam Noah mit dem Kaffee. Also saß ich da und beantwortete Fragen über ihn, während er zuhörte – und sich manchmal das Lachen über meine Antworten verkneifen musste.
Endlich verabschiedete ich mich von Ivy und legte auf.
»Deine Schwester, nehme ich an«, sagte Noah.
Wieder einmal verdrehte ich die Augen – das war in letzter Zeit eine schlechte Angewohnheit geworden. »Ja. Sie wollte über Mom sprechen. Ich habe ein bisschen die Sorge, dass der Kerl sie wirklich
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