Wächterin der Träume
fertig wurden, käme womöglich der Nächste. Waren solche Gedanken übertrieben? Vielleicht, aber ich wusste, dass es stimmte.
»Ich glaube, wie sollten uns lieber nicht mehr sehen«, platzte ich heraus.
Noah zog die Stirn kraus – ein sicheres Zeichen, dass er wirklich entrüstet war. »Das ist das Dämlichste, was du je von dir gegeben hast.« Und es hörte sich so an, als hätte er schon viel Dämliches von mir gehört.
»Mit mir zusammen bist du nicht sicher«, erwiderte ich mit einem traurigen Lächeln. Bevor ich in sein Leben trat, hatte niemand seine einzigartigen Fähigkeiten entdeckt. Was war, wenn diese Fähigkeiten noch stärker wurden, solange er mit mir zusammen war? Karatos hatte angedeutet, dass mehr in Noah steckte, als man auf den ersten Blick erkennen konnte, doch ich hatte es ignoriert. Und wenn nun Noah mehr wusste, als er zugab? Wenn er mich nur benutzte …?
Okay, Schluss jetzt mit diesem Mist. An so etwas wollte ich gar nicht denken.
Mit noch immer gerunzelter Stirn zuckte er die Schultern. »Es ist auch nicht sicher, in dieser Stadt über die Straße zu gehen. Mann, ich könnte auf einen Pinsel fallen und mich aufspießen.«
Trotz des Drucks, der auf meiner Brust lastete und mir das Herz schwer machte, lächelte ich. Ich musste ihn beschützen. Wenn ihm etwas Schlimmes zustieße, würde ich es mir nie verzeihen können. »Jetzt bist du der Blödian.«
»Du aber auch.«
»Nein.« Meine Stimme war so fest wie mein Entschluss. »Du behauptest, es stört dich nicht, dass ich nur halb menschlich bin. Aber
mich
stört es, Noah. Es stört mich, dass du womöglich meinetwegen leiden wirst. Und mich stört auch, dass du dich in eine möglicherweise gefährliche Situation gebracht hast, weil du Angst um mich hattest. Du brauchst mich nicht zu beschützen.«
Er erstarrte. »Und du mich auch nicht.«
Mir brach fast das Herz, als ich ihn ansah. »Doch«, flüsterte ich, »im Traumreich muss ich das tun.« Dabei konnte ich für seine Sicherheit nicht einmal garantieren.
Noahs Schmerz ging mir besonders nahe, weil er ihn nicht vor mir verbarg. »Stimmt«, sagte er.
Ich versuchte nicht, ihn zurückzuhalten, als er auf dem Absatz kehrtmachte und zur Tür ging. Ich hätte es schrecklich gern getan, doch ich zwang mich, stehen zu bleiben und zuzusehen, wie er aus meinem Büro und vielleicht auch aus meinem Leben verschwand.
Sobald er fort war, ließ ich meinen Tränen freien Lauf.
Einige Tage später rief Antwoine mich im Büro an und lud mich zum Mittagessen ein. Ich nahm die Einladung begeistert an, weil ich unbedingt wissen wollte, wie das Wiedersehen mit seiner großen Liebe verlaufen war.
Und, um ehrlich zu sein, ich brauchte auch ein wenig Abwechslung, die der Unterricht bei Hadria und Verek mir nicht bieten konnte. Ich brauchte etwas in dieser Welt, das mich von den Gedanken an Noah ablenkte. Seit drei Tagen hatte ich nichts von ihm gehört oder gesehen. Dabei war ich mehrmals versucht gewesen, ihn anzurufen und mich für mein Benehmen zu entschuldigen. Aber dann tat ich es doch nicht. Vielleicht spielte ich ja die Märtyrerin, aber es war nun einmal eine Tatsache, dass Noah ohne mich sicherer war. Außerdem hatte die Oberste Wächterin nicht mehr so viel gegen mich in der Hand, nachdem ich mich von Noah getrennt hatte.
Ich mochte nicht darüber nachdenken, ob wir jemals wieder zueinanderfinden würden. Eins nach dem anderen.
Ich traf mich mit Antwoine in einem kleinen Restaurant in der Nähe meines Büros. Ich hatte Heißhunger auf Cäsar-Salat mit Hühnchen, und dort gab es den leckersten. Dazu nahm ich eine cremige Tomatensuppe mit Asiago-Croutons – hmm! Antwoine bestellte sich ein Chili aus schwarzen Bohnen und geräucherte Putenbrust auf Weißbrot – für den Fall, dass es Sie interessiert.
Wir saßen ganz hinten im Lokal, wo wir uns in Ruhe unterhalten konnten und keiner mitbekam, wenn wir über merkwürdige Dinge wie Sukkuben und das Eindringen in fremde Träume redeten.
Antwoine sah gut aus, ausgeruht und entspannt. Ich brauchte ihn nicht zu fragen, woher das kam, ich nahm an, dass Madrene ihre Sache sehr gut gemacht hatte. Mir genügte es, dass er so glücklich wirkte.
Doch nachdem wir ein paar Minuten über Belangloses geredet hatten, bemerkte ich einen Schatten in seinen schokoladenbraunen Augen. Zögernd und zerknirscht blickte er mich an – was meiner Erfahrung nach kein gutes Zeichen war.
»Was ist los, Antwoine?« Mit einem Schluck Wasser versuchte ich
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