Während die Welt schlief
örtliche Polizei unser Haus.
Nachdem es geklingelt hatte, ging ich an die Tür. Ich hoffte, es wäre Yussuf. Aber mir wurde bange ums Herz, als ich ihre Dienstmarken sah.
»Sind Sie Amal Abulhija?«
»Ja, worum geht es?«
»Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten«, sagte ein gut aussehender, blauäugiger Mann in einem tadellosen dunklen Anzug. »Wenn Sie nichts dagegen haben«, fügte er höflich und professionell hinzu. Sie waren eigentlich alle höflich und professionell. Alle sechs, die plötzlich in meinem Haus standen.
»Mein Name ist Jack O’Malley«, begann der Agent, aber ich unterbrach ihn, weil der Name ein Lächeln in meinem Inneren auslöste.
»Ich kannte mal einen Jack O’Malley. Er war aus Dublin und arbeitete für die Vereinten Nationen in einem Flüchtlingslager in Palästina.«
»Sie müssen uns begleiten«, sagte er trocken, in einem Tonfall, der nicht zu seinem Namen passte.
Ich ließ Sara in Elizabeths Obhut und ging freiwillig mit O’Malley, um seine Fragen zu beantworten.
Ich saß auf einem metallenen Klappstuhl in der Mitte eines schlichten Raums bei der Polizei, überwältigt von Neugier und bösen Vorahnungen.
»Mein Name ist Jackson. Tom Jackson, Ma’am. Ich habe einige Fragen an Sie«, sagte ein korpulenter Mann mit gereizter Miene. »Kennen Sie diesen Mann?«, fragte er und schob ein Foto über den Tisch, der zwischen uns stand.
Ich nahm das Foto, das Yussuf zeigte, mit zitternden Fingern entgegen. Nur sein Gesicht war darauf abgebildet, in unbarmherzigen Details ausgeleuchtet. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Die tiefen Falten neben seinen Augen bargen die gnadenlose Entschlossenheit, die ich in seiner Stimme gehört hatte, als wir zuletzt miteinander telefonierten. Die gewachsten, nach oben zeigenden Spitzen seines Schnurrbarts, in denen er die Erinnerung an Jiddu Yahya bewahrte, waren abgeschnitten.
Es war Yussufs Gesicht, aber nirgends in seinen Zügen konnte ich den Bruder entdecken, den ich schon mein ganzes Leben lang kannte.
»Das ist mein Bruder«, erklärte ich und fürchtete mich vor der Antwort auf die Frage, die ich nicht über die Lippen brachte: Warum wollen Sie das wissen?
O’Malley, der bis dahin schweigend an der weißen Wand gelehnt hatte, kam zu uns und stützte sich vor mir auf dem Tisch ab. Er starrte mir in die Augen, Feuer im Blick. »Wir glauben, er ist der Terrorist, der die Botschaft in Beirut in die Luft gesprengt hat. Was können Sie uns dazu sagen?« Jedes einzelne Wort sprach er mit tiefer Verachtung aus.
Ich verschloss die Lippen und warf den Schlüssel weg. Ich glaubte ihnen nicht, und mein Herz zog sich in seine innere Tundra zurück. Doch meine Sinne explodierten förmlich, waren jetzt geschärft und registrierten noch die kleinste Einzelheit. Das langsame, kaum merkliche Schwanken der Lampe, der billige Geruch eines Aftershaves, das leise Schnüffeln eines Erkälteten, die Gewichtsverlagerung eines anderen und die über den Boden knirschenden Schmutzpartikel in den Rillen seiner Schuhe. Ein ramponierter Zettel, aus einem Schulheft gerissen, flatterte vor mir auf den Tisch. Yussuf hatte ihn geschrieben. Er war durch viele Hände gegangen, darunter die eines CIA-Informanten, bevor er nun zu mir gelangte, der eigentlichen Adressatin.
Vergib mir, Amal. Es wird Zeit, dass sie etwas davon kosten, was sie uns unser Leben lang eimerweise eingetrichtert haben.
Yussuf
Die nächsten zehn Stunden lang beantwortete ich ihre Fragen und stellte mich ihren Anschuldigungen. Vermutlich waren sie genauso erschöpft wie ich, aber meine Antworten stellten sie
nicht zufrieden. »Ja, ich weiß, dass er die PLO verlassen hat … nein, ich weiß nicht, wieso … weil er mich angerufen und es mir gesagt hat … das ist alles, was er mir mitgeteilt hat … ich weiß nichts über die Islamische Dschihadgruppe … das schwöre ich!«
Er steckte hinter allem, da waren sie sich sicher, hinter den Planungen, dem Anwerben neuer Gruppenmitglieder und hinter der Tat selbst. »Das glaube ich Ihnen nicht«, sagte ich.
»Wir glauben Ihnen auch nicht«, entgegneten sie.
Ammu Muhammad kam mit seinem Anwalt, und einen Tag später durfte ich gehen.
Ich blieb in meiner inneren Düsternis verkrochen, aber auch dorthin folgten mir die Dämonen und füllten die finsteren Seitengassen meiner Tage mit einer belastenden Vergangenheit. Allein, ohne Muhammad, ließ ich mich durch die Straßen von Philadelphia treiben, stets verfolgt von Agenten, die aus ihrer
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