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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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Anwesenheit keinen Hehl machten und mich auch in den folgenden Jahren fast überallhin begleiten sollten.
    Es regnete, und ich genoss das Platschen meiner Stiefel auf dem Asphalt. Die Agenten verschanzten sich hinter schwarzen Regenschirmen, immer nur wenige Schritte hinter mir, bis ich bei einer Bar anhielt. Es war ein stickiger, länglicher Raum mit Ziegelwänden, von rotem Neonlicht erhellt und mit lebensgroßen Fotos von Marilyn Monroe und Humphrey Bogart geschmückt. Das war die Bar an der South Street, in der ich während meiner Studentenzeit an der Temple University zum ersten Mal Alkohol probiert hatte. Ich war völlig durchnässt und setzte mich auf einen Hocker am hinteren Ende der Theke. Meine Haare waren pitschnass, das gelbe T-Shirt klebte an meiner Haut. Auf der einen Seite meines Oberkörpers konnte man hübsche weibliche Rundungen entdecken, auf der anderen das unschöne Andenken an einen israelischen Soldaten. Nach ein paar Long Island Ice Teas war ich in einen ruhigen
Nebel eingehüllt und nahm nur noch das Klickern der Eiswürfel in meinem großen Glas voller Alkohol wahr. Ich hob es hoch und prostete den beiden Tonic trinkenden Trenchcoat-Agenten am anderen Ende der Bar zu, um ihnen zu zeigen, dass ich sie erkannt hatte. Dann hörte ich plötzlich eine überraschte Stimme durch den Nebel fragen: »Hey … bist du nicht das Mädchen, das bei Angela gewohnt hat? Wie heißt du noch … Omar, oder so. Amy? Nein, Omar, stimmt’s?«
    Es war Milton Dobbs. Ich erkannte ihn sofort. Angela Haddads Exmann. Wortlos wandte ich mich wieder meinem Drink zu. Er murmelte seinen Freunden irgendetwas zu, und alle lachten.
    Mit einem Mal brach eine fürchterliche Klarheit in mein Vergessen ein. Die Aufmerksamkeit der Gäste richtete sich auf den Fernsehbildschirm, und die Musik wurde abgedreht.
    Alles schien der Stimme des Reporters Platz zu machen, der inmitten des Gerölls bei der amerikanischen Botschaft stand. »Die Rettungskräfte finden immer noch abgetrennte Körperteile«, sagte er, und ich starrte auf die schrecklichen Bilder und fürchtete mich davor, dass das FBI vielleicht recht hätte. Dass mein Bruder, den ich abgöttisch liebte, dies getan hatte. Aber dann dachte ich an den Bruder, den ich kannte, und war mir ganz sicher, dass es nicht stimmen konnte.
    Die beiden Agenten schauten mit unbeweglicher Miene auf mich, nicht auf den Bildschirm.
    »Verfluchte Terroristen!«, rief Milton und rührte damit an Gefühle von Groll und Abneigung, die ich tief in meinem Inneren verborgen gehalten hatte. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie er sich in meine Richtung wandte, als er schrie: »Ich glaube, wir sollten den ganzen verdammten Landstrich in Stücke bomben! Jeden einzelnen Kameltreiber ausrotten!«
    Zorn flammte in mir auf.

    Ich erhob mich, blind vor Wut. Die Wahrheit kam über mich wie ein Heuschreckenschwarm, und Feuer brüllte durch meine Adern. Alles in mir brannte, als ich zusah, wie meine Fäuste in Miltons Gesicht schleuderten und er perplex zu Boden ging. Aus seiner Nase rann Blut, und Marilyn Monroes weißes Kleid flatterte auf dem Foto über uns.
    Ich war eine zierliche Frau, brachte kaum mehr als 48 Kilo auf die Waage. Bevor ich mich’s versah, trug ich Handschellen und hörte die Aussage eines Augenzeugen. Ich stand da und keuchte.
    »… sie kam herangeflogen wie ein … das ist mein Ernst, Officer. Sie kam von diesem Barhocker heruntergeflogen und schlug ihn einfach k. o. Verdammt, ich hab noch nie eine Frau gesehen, die so was gemacht hat«, sagte der Zeuge zu einem Polizisten. Er machte viele Pausen, in denen er ungläubig lachte oder über das Gesehene staunte.
    Eine Menschenmenge bildete sich um uns, aber die Männer, die mich den ganzen Abend über beschattet hatten, blieben schweigend an der Bar sitzen. Hinter den Leuten, die gafften, entdeckte ich Jack O’Malley.
    Milton, der sich in seiner Ehre gekränkt fühlte, weigerte sich, Anzeige gegen mich zu erstatten, und bezeichnete mich als »Psycho-Tussi«.
    Die Polizei nahm mir die Handschellen ab und verließ die Bar. Die Menge löste sich auf. Ich weiß nicht wieso, aber ich ging zu Jack O’Malley und legte meinen Kopf an seine Schulter.
    Er sah meine geschwollene Hand und rief zum Barkeeper: »Können wir einen Eisbeutel für die Dame bekommen?«
    Mein Bruder war ein Junge, der durch die Hügel von Tulkarem streifte und Wasser aus den Quellen von Kalkilya trank. Mit jugendlicher Unbekümmertheit spielte er Fußball in den
Ebenen

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