Während die Welt schlief
von Haifa und ernährte sich von den Früchten des Landes, das seinen Vorvätern seit Menschengedenken gehört hatte. Wir spielten zusammen Backgammon. Er war ein Mann mit einem Lächeln, das so manches Mittelmeerherz zum Schmelzen brachte. Es war wirklich das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe. Er wurde vertrieben, eingesperrt, gefoltert, gedemütigt und ins Exil gejagt, nur weil er frei sein und das Erbe antreten wollte, das ihm zustand. Sein Herz hatte er einer einzigen Frau geschenkt, und die Trauer über ihren Tod erschütterte die Erde und vergoss das Blut derer, die auf ihr wandelten.
Das Bild aus O’Malleys Tasche schaffte es bald auf die Fernsehschirme im ganzen Land, und mein Bruder wurde zum Symbol für alles, was böse und abscheulich war.
Einmal, als ich vier Jahre alt war, kitzelte Yussuf mich so heftig, dass ich in die Hosen machte. Als ich sechs war, verbrachte er Tage damit, mir zu zeigen, wie man eine Kaugummiblase macht. Mit derselben Geduld lehrte er mich pfeifen. In den süßen Tagen der Jugend liefen wir zusammen meilenweit zum nächsten Markt. Es gibt ein Foto von uns beiden: Wir verschlingen eine Orange, vor dem Damaskustor in der Altstadt von Jerusalem, bevor Israel sie eroberte. Wir aßen Feigen, Oliven und Pfirsiche direkt von den Bäumen. Ich beobachtete ihn dabei, wie er mit seinen Freunden schmutzige Hefte in unserem armseligen Flüchtlingslager anschaute. Ich las seine Liebesbriefe an Fatima, als er nicht da war, und machte mich über seine Gefühlsduseligkeit lustig, eben wie eine naseweise kleine Schwester.
Während sein unversöhnliches Gesicht von den Fernsehschirmen in die Welt hinausstarrte, fand ich das Foto, das ich an dem Tag gemacht hatte, als Fatima ihre Tochter im Lager zur Welt gebracht hatte – heute ein vergessenes Schlachtfeld
und ein Massengrab. Die Falten um Yussufs Augen bargen damals ausschließlich Liebe. Sein breites Lächeln umspielte seine Schnurrbartspitzen, die ein Andenken an Jiddu Yahya waren. Jeden Tag, wenn er penibel seinen Bart wachste, spürte er die Liebe seines Großvaters. Yussuf wirkt albern auf dem Bild, mit seinem breiten, verzückten Lächeln. Er hält sein neugeborenes Kind Filastin im Arm, und Fatima, seine große Liebe, lehnt sich liebevoll an seine Schulter.
36
Yussuf, der Rächer
1983
I ch sehe ihr Gesicht in allem, was ich tue. In allem, was ich anfasse. Ihre abgewetzte blaue Dishdasha. Ich kaufe ihr viele andere, aber sie liebt die blaue. Ich sehe so oft, wie sie das Kleidungsstück ablegt. Manchmal ziehe ich es ihr aus. Und ich sehe, wie sie es morgens wieder anzieht. Sie weiß nicht, dass ich sie beobachte. Meine wunderschöne Frau. Mutter meiner Filastin und eines weiteren Kindes von mir – seinen Namen werde ich nie erfahren.
Sie schält sich von oben aus der Dishdasha, um unserer Tochter die Brust zu geben, und ich ziehe das Gewand von unten hoch, um ihr die Beine zu küssen. »Die Amerikaner haben den Vertrag unterschrieben«, sagt sie zu mir. »Wir werden in Sicherheit sein. Die Juden werden nicht riskieren, ihren einzigen Verbündeten wie einen Lügner aussehen zu lassen.«
Ich küsse ihre Oberschenkel und betrachte ihren Bauch, in dem unser zweites Kind wächst. Ich könnte sagen, dass ich sie liebe, aber diese achtlos und inflationär ausgesprochenen Worte würden die Intensität meiner Gefühle für sie nicht einmal annähernd wiedergeben. Fatima ist die Luft, die ich atme. Sie
ist der Grund aller Versprechen. Die Verkörperung der Zärtlichkeit. Sie ist die Liebe.
Sie hält mich noch lange fest, nachdem man mich zum Gehen aufgefordert hat. »Egal, wie lange es dauert, bis wir wieder zusammen sind, ich warte auf dich. Ich warte bis zum Ende der Zeit auf dich«, verspricht sie mir, und Tränen steigen in ihre braunen Augen.
»Baba.« Filastin küsst mich.
Ich sehe Fatima, wie sie dasteht und winkt. Filastin, wie sie sich an einem Zipfel der blauen Dishdasha festhält.
Dann gehe ich.
Auf einem Foto ist die Dishdasha zerrissen und befleckt. Gott, ich flehe dich an, lass mich in dieses Bild hineinsteigen! Wenigstens, um sie würdevoll zu begraben, mit unseren Kindern.
Ich bin nicht länger Herr über mich selbst. Ich ertrinke in Kummer, den niemand fassen kann. Zorn, den sich niemand vorstellen kann, drückt auf mein Herz.
Ich bin ein arabischer Junge. Hervorgegangen aus der Ehe von Dalia und Hasan. Mein Großvater ist Yahya Abulhija, und meine Großmutter ist Basima. Ich bin der Ehemann von Fatima,
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