Während die Welt schlief
Gynäkologe, von den Sanitätern alarmiert, rief Muhammad an, und der wiederum sagte Elizabeth Bescheid. Die beiden brauchten mir nur ins Gesicht zu sehen und wussten, dass Fatima und Filastin nicht überlebt hatten. Doch ich wich ihren Blicken aus, weil ich befürchtete, ihr Kummer würde meine mühsam zurückgehaltenen Tränen zum Fließen bringen.
Zehn Stunden lang krampfte mein Körper von den Wehen. Ich wünschte mir, die Schmerzen würden ewig bei mir bleiben. Mit glasigen Augen und eisigem Herzen raubte ich jedem einzelnen meiner Atemzüge den Ton, bevor ich ihm erlaubte, meinen Körper zu verlassen. Ich verschloss alles tief in mir,
packte es mit meinen Fingernägeln. Hielt es gefangen im Schraubstock meiner Kiefer.
Was immer du fühlst, lass es nicht heraus.
Ich wollte, dass der Schmerz nicht nachließ, dass er sich noch verstärkte, dass er mich tötete wie die anderen. Mein Bedürfnis nach Schmerz war viel größer als das Bedürfnis zu pressen. Die Krankenschwestern, die nacheinander zu mir kamen, um nach mir zu sehen, waren verwirrt – vielleicht sogar erschrocken.
Elizabeths feuchte Augen waren voller Mitleid, in ihrem reifen, eleganten Gesicht stand der Wunsch geschrieben, mich aus meinem Schicksal herauszureißen. Aber in ihrer großen Weisheit schwieg sie und nahm nur meine Hand ganz fest. Ich starrte in die Ferne und presste meine Zähne zusammen, während ein paar wenige Tränen still aus meinen Augen tropften.
Schließlich siegte der Lebenswille meines Babys, und ich ließ es geschehen. Ich presste, während sich das Tuch unter mir mit Blut und meinen endlich losgelassenen Tränen vollsog.
Zuerst kam der Kopf. Meine Haut riss, und ich musste an Fatimas Bauch denken, der unter der Klinge der Mörder aufgeplatzt war. Ich schrie ihren Namen, wie einen Kampfruf: »Fatima!« Ich presste stärker und stärker, um mein Fleisch bersten zu lassen, so wie Fatimas Fleisch geborsten war. Ich wollte bluten, mich quälen, im Fegefeuer büßen. Warum sollte ich leben, während Fatima in einem Massengrab ohne Namen verweste? Warum sollte mein Baby geboren werden, während Fatimas aus ihrem Leib gerissen wurde? Ich presste heftig, so heftig, wie mein Herz sich nach Majid sehnte. Ich presste mit der festen Entschlossenheit, mich selbst zu bestrafen, voller Reue und Schuldgefühlen, weil ich am Leben war.
Schließlich lag mein kleines Mädchen eingehüllt in meinen Armen, wie eine Blütenknospe. Mein ganzes Sein ruhte im
Saugen ihres winzigen Mundes an meiner Brust. Sie spendete meinem verhärteten Herzen neues Leben, wie Moos, das sich über einen Stein legt. Trotzdem erlaubte ich mir keine allzu große Nähe und führte die Aufgaben der Kinderpflege rein mechanisch aus. Das zerbrechliche Mädchen hatte mir neuen Lebenswillen aufgezwungen, und das nahm ich ihm übel. Im Grunde wollte ich einfach nur sterben.
34
Hilflos
1982 – 1983
Aber ihr hört und seht nicht, und das ist gut.
Der Schleier, der eure Augen bedeckt,
wird von den Händen gehoben werden, die ihn gewebt haben.
Und der Lehm, der eure Ohren verschließt,
wird von den Händen entfernt werden, die ihn geknetet haben.
Und ihr werdet sehen.
Und ihr werdet hören.
Und ihr werdet nicht beklagen, dass ihr Blindheit gekannt habt,
und nicht bedauern, dass ihr taub wart.
An dem Tag werdet ihr die geheime Bedeutung aller Dinge erkennen,
und ihr werdet die Dunkelheit segnen, wie ihr das Licht segnet.
Khalil Gibran, »Der Abschied«
O hne Majid und ohne jeglichen Willen brach ich ins Abenteuer der Mutterschaft auf. Elizabeth und Muhammad waren für mich da, zuverlässig und mitfühlend. Auf ihr Drängen hin zog ich bei ihnen ein. Das hat Sara und mich gerettet, in mancherlei Hinsicht.
Neugierig betrachtete ich mein Kind und nährte es aus Pflichtbewusstsein. Meine Emotionen verschloss ich in meinen
angespannten Fäusten und meinem fest zusammengebissenen Kiefer. Aber Saras Geruch war unwiderstehlich – ein berauschendes, wortloses Versprechen, das mich schwach machte. Manchmal überwand ich die Mauern meines Herzens, um ihren Duft einzuatmen und in den Teilen meines Körpers zu verwahren, die sich trotz allem noch nach Liebe sehnten. Ich verlor mich im Rhythmus ihres saugenden Mundes, in der Wärme ihrer Hilflosigkeit und der Beharrlichkeit ihrer ständigen Bedürfnisse.
Eine Woche nach dem Massaker von Sabra und Shatila verkündete die Newsweek, das wichtigste Ereignis der letzten sieben Tage sei der Tod Fürstin Gracia Patricias.
In der
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