Während die Welt schlief
zweifacher Vater. Ich bin ein besessener Mann, besessen von ihren Leichen. Ein Sturm braut sich in mir zusammen. Ich schlafe nicht, und ich kann die Sonne nicht sehen. Dämonischer Zorn brodelt in meinen Venen. Möge er noch lange existieren, nachdem ich fort bin. Möget ihr seine Säure schmecken.
Ich will Rache. Nicht mehr und nicht weniger. Ich werde sie bekommen. Und ich werde keine Gnade kennen.
TEIL 6
Illy Bayna-na
Was zwischen uns steht
37
Eine Frau, von Mauern umgeben
1983 – 1987
D ie ständige Bewegung von Körper und Geist hielt mein Dasein im Fluss. Ich wurde wieder ein Teil der arbeitenden Bevölkerung und gliederte mich unauffällig ins amerikanische Alltagsleben ein. Bald kehrte ich an meinen Arbeitsplatz in der Pharmaindustrie zurück. Sara ließ ich meistens in Elizabeths Obhut.
Meine Arbeitstage waren lang. Ohne Fehl und Tadel erledigte ich alles, was man von mir verlangte, und erstaunlicherweise begriff ich schnell, wie der Kapitalismus funktionierte. Während die anderen sich vor wichtigen Abgabeterminen verrückt machten, verspürte ich überhaupt keinen Druck. In meinen eisigen Augen stand die pure Verachtung für ihr unwichtiges Streben nach Gewinn und materiellen Dingen. Ich machte meinen Job sorgfältig und doch mit links.
Ich war eine Frau weniger Worte, eine Frau ohne Freunde. Ich war Amy. Ein Name, dem die Bedeutung fehlte. Amal, langer oder kurzer Vokal, der Hoffnung beraubt. Nur zweckmäßige Worte konnten den Kloß in meinem Hals passieren, den eine nie zu Ende erzählte Liebesgeschichte dort hinterlassen
hatte. Und überhaupt, welche Worte könnten eine Zukunft zurückbringen, der die Gegenwart genommen wurde?
Mein Leben schmeckte nach Asche, und ich lebte mit der immerwährenden Stille eines Liedes, das keine Melodie besitzt. Ich war verbittert und verängstigt – ich fühlte mich wie die fleischgewordene Einsamkeit.
Nur wenige meiner Kollegen mochten mich. Die meisten hielten meine Gefühllosigkeit für Arroganz. Das waren dieselben Leute, die ich so selbstbewusst und imposant gefunden hatte, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal nach Amerika gekommen war. Jetzt bewertete ich sie viel strenger, und sie nannten mich hinter meinem Rücken die »Eisprinzessin« oder die »Superzicke«. Ich ignorierte sie, war insgeheim aber neidisch auf ihre Sicherheit und die Harmlosigkeit der Dinge, vor denen sie sich fürchteten.
Hinter einer dünnen Schicht der Verachtung stellte ich mich der Welt. Die Einzige, die meine harte Schale knacken konnte, war Sara. Sie war die grüne Ranke, die sich um mein steinernes Herz schlang. Sie war die Glut, die von innen her leuchtete. Ich, die größere Angst vor der Liebe als vor dem Tod hatte, sah zu, wie meine Tochter größer wurde und zu einer hübschen jungen Frau heranreifte. Sie war der kräftige Farbklecks in der Mitte meiner grauen Verzweiflung, der Punkt, an dem sich meine Liebe, meine Geschichte und mein Schmerz in einer makellosen Blüte trafen. In einer Blüte, die aus unfruchtbarem Boden emporstrebte. Je mehr Sara wuchs, desto mehr fürchtete ich mich davor, in ihrer Nähe zu sein und sie zu berühren – möge Gott mir vergeben. Ich hatte Angst, sie mit meiner verletzten Frostigkeit anzustecken, sie mit meiner verhärteten Hand zu streicheln, ihrer weichen, bedingungslosen Zartheit das Falsche entgegenzusetzen. Darum beschränkte ich mich auf die grundlegenden Aufgaben der Mutterschaft und hielt
die brennende Liebe in mir hinter den kalten Mauern der Angst und hinter langen Stunden am Arbeitsplatz unter Verschluss.
Bis Sara ungefähr vier war, kam sie immer zu mir, wenn sie sich nach Zärtlichkeit sehnte. Dann kletterte sie mit ihrem kleinen Körper auf meinen Schoß und bettelte nach einem Lied oder einer Geschichte, und ich gab widerwillig nach. Ihr Geruch drang durch meine Haut und fachte die Flammen der Mutterschaft in mir an. Wenn das Lied oder die Geschichte zu Ende war, spürte ich nur noch eine große Müdigkeit. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mein Herz zu verschließen, ich sehnte mich doch bloß danach, dieses perfekte kleine Geschöpf, das ich geboren hatte, mit meiner Liebe zu umschließen. Davon träumte ich und stellte mir vor, wie ich sie liebevoll in meine Arme nehmen und mit ihr spielen würde. Wie ich sie wild durchkitzeln würde, so wie Elizabeth es mit ihr machte, und zur Belohnung ihr fröhliches Lachen bekäme. Ich dachte an die unendlich vielen Küsse, mit denen ich sie beschenken wollte. Doch ich handelte
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