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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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dem Araber immer wieder in die Genitalien. Immer wieder und wieder, bis der Araber – das Gesicht – bewusstlos war. Der Freund des Mannes weinte. »Bitte, bitte, hören Sie auf. Wir sind keine Terroristen. Er hat nichts getan. Unsere Passierscheine sind gültig. Bitte«, flehte er.
    »Okay. Okay«, erwiderte der New Yorker und schob David zur Seite. »Ich habe keine Lust, den ganzen Papierkram für einen Todesfall auszufüllen«, sagte er.

    Yussuf lag blutend am Boden. »Okay. Bring ihn weg, dahin, wo ihr hergekommen seid. Sofort!«, befahl der dicke Soldat.
    Atemlos wandte David sich ab.

17
Yussuf, der Kämpfer
    1968
    I ch fürchte, ich könnte impotent sein. Vielleicht ist ein Schaden von dem Tag zurückgeblieben, als er mir in die Genitalien getreten hat.
    Es tut weh zu urinieren. Aber es tut noch mehr weh, wenn ich Fatima sehe. Wenn sie an der Werkstatt vorbeigeht, verstecke ich mich hinter einem Auto und tue, als hätte ich sie nicht bemerkt. Alle meine Freunde wissen, dass sie nur meinetwegen nach Jenin gekommen ist. Und sie alle sehen, wie ich mich vor ihr verstecke, und dann verstecken sie sich, damit sie den Kummer auf ihrem Gesicht nicht sehen müssen.
    Meine kleine Schwester Amal sucht auch nach mir. Zusammen mit Huda starrt sie mich an, von der anderen Straßenseite aus. Ich weiß, sie wartet darauf, dass ich die Leere ausfülle, die Baba hinterlassen hat.
    Soldaten suchen nach mir. Mama siecht dahin.
    Ich bin beschädigt. Die Leute, die ich liebe, können nichts anfangen mit mir. Ich werde sterben, wenn ich hierbleibe. Aber da ist etwas in mir, das immer noch brennt. Etwas, das nicht brechen will. Etwas, das den Kampf sucht.

18
Hinter der ersten Baumreihe
    1967 – 1968
    S o wie die Landnahme von 1948 das Schicksal seines Vaters verändert hatte, brachte die israelische Eroberung des Westjordanlands 1967 eine große Beklommenheit über Yussuf. Die israelische Besatzung legte sich wie eine eiserne Hand um seinen Hals und löste sich nicht mehr. Die Palästinenser waren der Willkür der Soldaten ausgeliefert. Wer passieren durfte und wer nicht, bestimmten sie, und zwar nicht nach allgemeingültigen Regeln. Wer geschlagen wurde und wer nicht, entschieden sie nach Gutdünken. Wer sich bei der Durchsuchung ausziehen musste und wer nicht, hing von ihrer Laune ab.
    Je älter er wurde, desto ähnlicher wurde Yussuf seinem Vater in charakterlicher Hinsicht. Er schätzte das Alleinsein und handelte überlegt und bedächtig. Weil die Besatzung die Palästinenser in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte, konnte er nicht mehr zu seiner Arbeitsstelle nach Bethlehem gelangen und musste sie aufgeben. Stattdessen wurde er Lehrer an einer Jungenschule, die vom Hilfswerk der Vereinten Nationen betrieben wurde. Sein Vater hatte dort als Hausmeister gearbeitet.

    Yussuf konnte auch nicht mehr nach Lust und Laune durch die Berge streifen. Darum steckte er seine überschüssige Energie jetzt in die Werkstatt, die er von seinem Vater geerbt hatte. Bald bekamen Amal und seine Mutter ihn kaum noch zu Gesicht. Manchmal war er im Kaffeehaus von Beit Jawad, wo er Wasserpfeife rauchte und mit Freunden Backgammon oder Karten spielte. Aber jeden Freitag nach dem Gebet folgte er einem inneren Ruf, der Macht der Gewohnheit, und stellte sich am Checkpoint an, wo er mit Demütigungen und langen Wartezeiten rechnen musste. Er wollte in die Berge, dorthin, wo er immer mit seinem Vater gewesen war, seit er denken konnte. An diesem Ort setzte er sich gern unter einen Baum und las. Das bedeutete jedes Mal eine gewagte Reise, aber es war Yussufs Art, das Andenken seines Vaters lebendig zu halten. So wie Amal oft in der Morgendämmerung las, wie früher mit ihrem Vater, kehrte Yussuf immer wieder mit einem Buch in die Berge zurück. In diesen schwierigen Zeiten klammerten sich beide an das Beständige, an das, was ihnen Kraft gab – an Hasan, ihren Baba.
    Innerhalb von sechs Monaten machte Yussuf Folterungen und willkürliche Misshandlungen durch, die beinahe jeden Zentimeter seines Körpers zeichneten. Man zwang ihn, sich vor Frauen und seinen Schülern auszuziehen. Man brachte ihn dazu, die Füße eines Soldaten zu küssen, und drohte, andernfalls einen kleinen Jungen zu schlagen. Die meisten Männer machten solche schlimmen Erfahrungen. Und die meisten kamen gebrochen wieder nach Hause und ließen ihre Gefühle an ihren Frauen, Schwestern oder Kindern aus.
    Yussuf kehrte alles nach innen, so, wie es Dalia getan hatte. Er kapselte den

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