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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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sind die Sicherheitskräfte?«
    »Wenn niemand verzweifelt ist, gibt es auch kaum Grund für Krawalle. Die meisten Sicherheitsfirmen machten gegen Ende des Wiederaufbaus pleite.« Sein Blick wurde düster. »UniCorp verlor eine Menge schöner Beteiligungen dadurch«, sann er nach. »Nur gut, dass wir so breit gestreut hatten.«
    Ich starrte ihn an. Dachte er wirklich nur daran, wie viel Profit UniCorp entgangen war, als die Sicherheitsbetriebe nicht mehr gebraucht wurden? Guillory war jünger als ich, wenn man nach meinem Geburtsdatum rechnete. Ich hatte mich schon in Stasis befunden, als er geboren wurde. Trotzdem war er nicht mehr jung. Mitte, Ende fünfzig, schätzte ich. Was bedeutete, dass er mitten in der Dunklen Epoche zur Welt gekommen war. In seiner Kindheit musste er viel von demselben Elend, derselben Ungleichheit gesehen haben wie ich. Der Wiederaufbau hatte die krassen gesellschaftlichen Gegensätze eingeebnet, die ich zu meiner Zeit als gegeben hingenommen hatte. Das hatte ich in Geschichte gelernt, mir aber bis jetzt, da
ich es mit eigenen Augen sah, nichts darunter vorstellen können. Wenn es nicht das Ergebnis eines halben Weltuntergangs gewesen wäre, hätte ich es für ein Wunder gehalten.
    Guillory trug einen dunkelblauen Anzug an diesem Tag, in dem er etwas weniger wie eine Goldstatue aussah, aber er gab mir immer noch ein ungutes Gefühl. Ich hatte keine Lust auf Konversation, also holte ich mein Skizzenbuch hervor und begann wieder einmal eine Zeichnung von Xavier.
    Ich fand es erstaunlich, dass ich sein Gesicht nicht im Mindesten vergaß, wusste aber, dass es vermutlich an der Stasis lag. Die Erinnerungen aus den Tagen kurz vor dem Eintritt in den Stase-Zustand waren immer sehr viel deutlicher als andere. Sie blieben frisch im Gehirn, noch lange, nachdem man sie normalerweise ins Unterbewusste hätte abdriften lassen, bis sie sich unauslöschlich eingeprägt hatten. Wie klar sah ich noch genau Xaviers Gesichtsausdruck vor mir, als ich mich von ihm verabschiedet hatte ... obwohl ich den Anblick lieber vergessen hätte. Um ihn zu verscheuchen, versuchte ich, mich an all die Male zu erinnern, als Xavier mich in die Arme geschlossen hatte, und wie schön es war, aus der Stasis zu erwachen und von ihm und Åsa erwartet zu werden.
     
    Das Jahr, das ich mit Xavier verbrachte, als ich fünfzehn war, war das allerschönste, auch wenn es ein bisschen holprig begann. Zum ersten Mal hatte ich mich davor gefürchtet, in Stasis versetzt zu werden.
    Es war eine Sache, aufzuwachen und festzustellen, dass mein lieber kleiner Spielfreund nicht mehr fünf war, sondern sechs, und ich seinen Geburtstag verpasst hatte. Eine ganz andere war es, für vier, fünf oder sechs Monate von meinem Liebsten getrennt zu sein. Die Zeit war mir noch nie so kostbar erschienen.

    Und ausnahmsweise hatte ich Glück. Gewöhnlich war jedes Mal, wenn ich aus der Stasis herauskam, ein neues Hausmädchen bei uns. So auch diesmal. Zwei Wochen, nachdem Xavier und ich uns zum ersten Mal geküsst hatten, stellte meine Mutter Åsa ein.
    Åsa kam aus Schweden. Sie hatte honigfarbene Haare mit silberweißen Strähnen darin und war ein Feldwebel von einer Bediensteten. Sie zwang mich, mein Zimmer selbst aufzuräumen, was noch keine zuvor gewagt hatte, und brachte mir bei, meine Wäsche zu waschen, einfache Mahlzeiten zu kochen und die Bewerbungsbögen fürs College selbstständig auszufüllen. Ich fand es noch ein bisschen früh für all das, aber sie bestand darauf, dass ich es lernte. Das College würden bestimmt meine Eltern für mich aussuchen, dachte ich bei mir ... wann auch immer es so weit wäre. Doch sie war der Meinung, ich sollte bestimmte Dinge können, für alle Fälle. »Für alle Fälle« war einer von Åsas Lieblingsausdrücken.
    Ich sagte meinen Eltern nicht, wie streng sie mit mir war. Sie würden sie sicher feuern, wenn sie es erführen, und ich mochte sie ziemlich gern. Sie kam mir so wirklich vor.
    Etwa eine Woche nach Åsas Ankunft kam meine Mutter kurz vor dem Abendessen mit einer Überraschung zu mir.
    »Ich habe etwas für dich«, sagte sie.
    »Wirklich?« Ich sprang herbei und stand wohlerzogen mit gefalteten Händen vor ihr. Mom küsste mich lachend und hielt mir dann ihre geschlossenen Fäuste hin. »Du musst wählen.«
    Ich zeigte auf die linke. Es war ein Karamellbonbon darin. Ich war ein bisschen enttäuscht, nahm es aber. »Danke.«
    Mom lachte wieder und öffnete die andere Hand. »Oh, wie toll!«, rief ich

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