Während ich schlief
erkannte ich Bren in jedem Gesicht auf diesem Foto. Ich wandte mich ab, als hätte die Seite mich gebissen, und sah Mrs. Sabah an. »Sie brauchen nicht bei mir zu bleiben.«
»Ich warte mit dir, bis Reggie kommt«, sagte sie. Der Annäherungssensor
an der Tür läutete. »Wenn man vom Teufel spricht ...«
Sie ließ mich auf dem Sofa allein, wo ich wieder auf das Familienfoto starrte. Neid durchzuckte mich. Ich wollte Brens Familie! Mir zog sich das Herz zusammen. Mit einem Knall klappte ich das Album zu, nahm meine Tasche und eilte hinaus.
I ch setzte Zavier in meiner Wohnung ab und hoffte inbrünstig, dass es Patty und Barry ernst damit gewesen war, sich um ihn zu kümmern. Wie ich sie kannte, würden sie wahrscheinlich einen Hundesitter engagieren, aber das war mir egal. Hauptsache, er wurde gut versorgt, bis ich zurückkam. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich vorgehabt hatte, zwei Wochen in der Stasis zu verschwinden und ihn allein zu lassen. Irgendwie kam mir der Stasis-Zustand nicht so real vor, wie tatsächlich fortzugehen.
Mr. Guillory führte mich zu seinem privaten Solargleiter, neben dem meiner wie ein Kanu wirkte. Es war eine Jacht von einem Gleiter, mit Sitzen aus indigogefärbtem Ziegenleder. Das war wohl schon mal ein Grund, weshalb er Zavier nicht dabeihaben wollte, der vermutlich die Polster angenagt hätte.
Sobald wir es uns auf den breiten Sitzen bequem gemacht hatten und die Jacht losschwebte, öffnete Guillory eine kleine Wandbar und bot mir ein Weinmixgetränk an. Weil ich keine Lust hatte, ihn darauf hinzuweisen, dass mein Magen noch empfindlich war, nahm ich einfach an. Wenn ich langsam trank, würde es schon nicht so schlimm werden. »Möchtest du ein bisschen Musik hören oder ein Holoprogramm starten? Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns.«
»Musik wäre schön«, sagte ich und merkte, dass ihm die Situation genauso unangenehm war wie mir. Er zählte ein paar Namen auf, doch ich kannte nur eine Band vom Hörensagen,
über die sie in der Schule gesprochen hatten. Am Ende meinte er: »Ich hätte auch noch ein paar Cello-Suiten von Bach.«
»Das wäre toll«, sagte ich, mich ans Vertraute klammernd.
Als die schweren, melancholischen Weisen die Kabine erfüllten, schmiegte ich mich mit angezogenen Beinen in meinen Sitz und wünschte, ich könnte mich damit trösten, Zavier den Kopf zu kraulen. Oder mich an Xavier zu kuscheln, wenn ich schon am Wünschen war. Ich sah zum Fenster hinaus, während wir ComUnity hinter uns ließen und in eine graue Stadtlandschaft hineinfuhren.
Ich wappnete mich dagegen, schockiert zu sein, wie immer, wenn ich in die eigentliche Stadt kam. Doch es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass die Stadt, wie ich sie gekannt hatte, tot war.
Verschwunden waren die sich drängenden Scharen mitgenommen aussehender Menschen. Verschwunden waren die giftigen Abgase und das Getöse von Bandenkriegen. Verschwunden die hungernden Kinder, die an den Ampeln an mein Fenster herankamen und mit kleinen Kieseln dagegenklopften, damit ich sie hörte. Verschwunden die uniformierten Angestellten privater Sicherheitsfirmen mit ihren Elektrowaffen und tödlichen Antipersonen-Schutzschildern, die die Bettler packten und in dunkle Gassen zerrten.
Ich konnte es nicht glauben. »Umfahren wir die Innenstadt?« , fragte ich in der Annahme, dass wir die unangenehmen Viertel mieden.
Guillory warf einen Blick aus dem Fenster. »Nein. Das ist sie.«
Mir kam der Verdacht, dass vielleicht so eine Art Ghetto oder gar Konzentrationslager eingerichtet worden war. »Wo hat man die Armen hingeschafft?«
Guillory sah sich in den Straßen um. »Ich glaube, das dort ist eine.« Er zeigte auf eine junge Mutter mit einem Kleinkind
in einem Kinderwagen aus zweiter Hand. Sie machte Straßenmusik für die Passanten und spielte eine ziemlich ramponierte Gitarre.
Stirnrunzelnd musterte ich sie durch die getönten Scheiben des Jachtgleiters. Sie litt keinen Hunger. Ihre Kleider waren alt, aber nicht zerlumpt oder schmutzig. Wie immer ihre Lebensumstände auch sein mochten, sie hatte jedenfalls neben der Beschaffung von Geld oder Essen noch genug Zeit für den Luxus gehabt, ein Instrument zu erlernen. Ihr Kind hatte eine Schnabeltasse voll Saft in der Hand und lachte zu der Musik. »Sie machen Witze«, sagte ich.
»Aber nein.« Er lächelte mich an. »Sieht anders aus, nicht wahr? Nach der Dunklen Epoche waren nicht mehr genug Menschen übrig, um Arbeitskräfte zu verschwenden.«
»Aber wo
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