Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
Flaschen zu Hause stehen, die er irgendwann am Wochenende alle in Überstunden nacharbeiten müsse. Aber die Touristen brauchten nun mal das Glück, und irgendwer müsse die dafür ausgegebenen Getränke natürlich auch trinken. Sonst würde das Ganze ja gar nicht funktionieren. Das wäre dann ja quasi reine Scharlatanerie. Sie seien aber seriöse Glückstrinker. Das sei Ehrensache. Mal angenommen, er würde erfahren, dass jemand, dessen Spende er nicht getrunken habe, kurz darauf einen schweren Unfall gehabt hätte, mit viel Pech. Er würde sich das nie verzeihen, womöglich abgleiten, die Kontrolle über sein Leben verlieren und mit dem Trinken anfangen. Also noch mehr. Quasi mehrfacher Alkoholiker werden. So wie man in einigen Ländern ja auch zu mehrfach lebenslänglich verurteilt werden könne. Hätte er allerdings das spendierte Getränk gewissenhaft getrunken, wüsste er, dass der Unfall, egal wie unglücklich, keinesfalls seine Schuld gewesen wäre. Die Ausübung einer jeden Tätigkeit bedürfe eben des Respekts und der Ernsthaftigkeit. Das gelte auch und gerade fürs Trinken. Eine Existenz, die auf einer Lüge aufbaue, werde selbst zur Lüge. Wer das nicht begreife, solle besser erst gar nicht mit dem Glückstrinken anfangen.
Wenn der Ansturm allerdings so weitergehe, werde man demnächst wohl, um der Nachfrage Herr zu werden, zusätzlich Billigtrinker aus Osteuropa verpflichten müssen. Vielleicht werde man aber auch expandieren und das traditionelle Glückstrinken bald auch auf anderen Berliner Plätzen oder sogar in anderen Städten anbieten. Eventuell könnten die traditionellen Glückstrinker sogar zu einer weltweiten Kette werden, wie Starbucks oder Subway.
Die Glückstrinker vom Marheinekeplatz. Ein schönes Stück Zukunft, mitten in der Stadt.
Das Hobby zum Beruf gemacht
Donnerstagnachmittag. Sitze im Café und höre Holger zu. Er hatte sich mehr als eine Stunde verspätet. Was nicht schlimm war. Im Gegenteil, Holger ist der einzige Mensch auf der Welt, bei dem ich mich freue, wenn er sich verspätet. Denn ich liebe seine Begründungen. Es wäre eine große Enttäuschung gewesen, wenn Holger pünktlich erschienen wäre und ich keine liebevolle Ausrede von ihm bekommen hätte.
Doch stattdessen läuft Holger gerade zur Höchstform auf: «Also, da bin ich in dieser Straßenbahn und denke noch, es wird zwar knapp, aber im Groben werd ich’s noch pünktlich schaffen, da bleibt die plötzlich stehen! Weil jemand mit einem Kinderwagen, also dem Reifen des Kinderwagens, in den Schienen hängen geblieben ist. Ging nicht mehr raus. Konnteste rütteln und zerren. Bewegte sich gar nichts. Wurden also schließlich die Kosten gegengerechnet. Was ist teurer – der Kinderwagen oder die Straßenbahn noch länger blockiert zu lassen? Am Ende hat der Fahrer uns Fahrgäste abstimmen lassen. War natürlich ’ne klare Sache. Alle sind sich einig: Der Kinderwagen wird plattgemacht! Von unserer Straßenbahn. Vorher natürlich noch evakuiert. Der Kinderwagen, klar. Wurde alles rausgenommen: Decke, Spielzeug, Fläschchen und so weiter. Und das Kind natürlich auch, logisch. Dann sind alle Fahrgäste wieder in die Straßenbahn und riefen: ‹Gib’s ihm!›
So, jetzt hatte der Kinderwagen aber so eine ganz moderne Titan-Aluminium-Stahl-Hydraulik-Pufferfederung. Für alle Fälle hat der das, also falls man mit dem Kinderwagen mal offroad unterwegs ist. Beispielsweise in den Pyrenäen, im Amazonas-Delta, an der Beringstraße, auf dem Mond oder was weiß ich, wo. Überall dort hätte man mit diesem Kinderwagen wahrscheinlich ohne Probleme langfahren können. Denn dafür hat er ja die Titan-Aluminium-Stahl-Hydraulik-Pufferfederung. In all diesen Gegenden haben sie den Kinderwagen getestet. Eben im Gebirge, in der Eiswüste, im tropischen Sumpf, überall. Das einzige Gelände, wo sie ihn leider nicht getestet haben, das war im Prenzlauer Berg, also speziell in der Nähe der Straßenbahnschienen. Schade. Aber das konnte ja auch keiner ahnen, dass der Kinderwagen da mal hinkommen würde.
So, nun hatten die Schienen diese Titan-Aluminium-Pufferfederung zwar in eine Falle gelockt, aber deshalb hatte die Straßenbahn noch lange nicht gewonnen. Denn der Kinderwagen konnte mit seiner Amazonas-Nahkampfausbildung die Straßenbahn immer noch spielend fertigmachen. Zumindest bewies er unfassbare Nehmerqualitäten. Die Straßenbahn wollte es erst gar nicht glauben. Mehrfach wurde sie zurückgestoßen, um immer wieder mit Karacho in
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