Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
«Und? Wann ist denn jetzt der große Tag von Dschingis’ Schnippschnapp?»
Martin flüstert: «Psst, nicht so laut, er weiß noch nichts davon.»
«Ah, verstehe, soll wahrscheinlich eine Überraschung werden.»
Dschingis kommt rein und schlägt mir zur Begrüßung gelangweilt drei Krallen in die Wade.
Frank ist gerührt. «Guck mal, wie süß, er erinnert sich noch an dich.»
Ich singe: «Dsching, Dsching, Dschingis Khan! Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht, hey!»
Dschingis schlägt mir auch die Krallen der zweiten Pfote in die Wade. Irgendwann aber verliert er die Lust und geht wieder zurück zu seinem Sonnenplatz. Als Martin meine Wunden versorgt, erklärt er: «Wir haben Angst, dass Dschingis Khan uns böse ist, wenn wir ihn kastrieren lassen.»
«Joah, nicht auszuschließen.»
«Eben, und deshalb dachten wir, dass du das für uns machen könntest. Ich meine, dich hasst er doch sowieso schon. Bei dir ist es doch egal.»
«Wie, egal? Das ist doch wohl ein Riesenunterschied. Bis jetzt hasst er mich völlig grundlos. Wogegen dann sein Hass ja quasi legitim wäre.»
«Na ja, immerhin hast du ihn damals allein in der Wohnung gelassen.»
«Von wegen. Das Tier hat mich ausgetrickst!»
«Willst du etwa sagen, der Kater ist intelligenter als du?»
«Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, glaube ich. Er ist nur skrupelloser, gerissener und brutaler.»
Martin lächelt. «Wenn du meinst. Aber dann stell dir doch die Situation mal andersherum vor. Also angenommen der Kater stünde vor der Entscheidung, ob er dich, Horst, kastrieren lässt oder bei uns, seinen Freunden, Punkte verliert. Was, denkst du, würde Dschingis Khan tun?»
Knapp fünf Minuten später bin ich mit dem Kater auf dem Weg zum Tierarzt.
Um sich unangreifbar zu machen, haben Frank und Martin noch eine seltsame Schmierenkomödie beim Abschied gespielt: «So, Horst, dann geh mal ein bisschen raus mit Dschingis. Und nicht, dass du heimlich in irgendeine Praxis mit ihm gehst oder so. Wir verbieten dir ausdrücklich, irgendetwas mit Dschingis zu machen, was ihm nicht gefällt!» Dabei haben sie seltsam die Augen verdreht und gezwinkert.
Nachdem mir Dschingis in der Praxis noch zwei-, dreimal routiniert seine Krallen in Arme und Bauch gehauen hat, darf ich sogar im Wartezimmer Platz nehmen und muss gar nicht bei der eigentlichen Prozedur dabei sein.
Ich verarzte notdürftig meine Wunden und bin zufrieden. Immerhin habe ich etwas Gutes getan. Ich habe Frank und Martin wirklich geholfen. In einer echten Notlage. Vermutlich werden sie mir auf ewig dankbar sein. Ist es nicht das, was Freundschaft ausmacht: sich aufeinander verlassen können?
Der kleine Plastiklautsprecher im Wartezimmer fängt an zu rauschen. Dann beginnt scheppernd eine Durchsage aus dem Behandlungszimmer: «Soo, der Herr Evers, der hier seinen Kater zum Einschläfern vorbeigebracht hat – es ist vollbracht, Sie können sich jetzt von Ihrem Tier verabschieden.»
Uii. Vielleicht sollte ich auch nicht zu viel Dankbarkeit von Frank und Martin erwarten. Überlege, wie ich es ihnen erkläre. Möglichst schonend vielleicht: Also, das kennt man doch, wenn man beispielsweise im Restaurant etwas bestellt, und dann gibt es aber ein Missverständnis in der Küche, und man bekommt etwas völlig anderes, was man gar nicht wollte und auch gar nicht mag. Eigentlich. Quasi so ein Missverständnis hat es jetzt auch bei Dschingis Khan gegeben. Nur ein bisschen erheblicher und endgültiger als im Restaurant.
Als ich im Behandlungsraum den leblosen Kater sehe, tut er mir natürlich schon leid. Das habe ich wirklich nicht gewollt. Merke, wie ich feuchte Augen kriege.
Die Ärztin kommt rein. Als sie mich sieht, brüllt sie sofort los: «Na toll, Mario, hast du wieder deinen Einschläferwitz gemacht? Jetzt hab ich hier den Mann blöde und heulend rumstehen.» Dann dreht sie sich zu mir: «Keine Angst, der ist nur betäubt. Könnse mitnehmen, der wacht zu Hause wieder auf und ist ganz der Alte. Also außer natürlich … Sie wissen schon. Aber wennse dem Tier nichts davon sagen, merkt der das womöglich nicht mal. So was vergessen Männer schnell.» Sie lacht.
Nehme den Kater erleichtert auf den Arm. Doch erst als Dschingis Khan kurze Zeit später auf dem Bürgersteig aus dem Koma erwacht und mir seine Krallen in den Unterarm haut, atme ich wirklich tief durch. Dem Tier geht es gut. Die Ärztin hatte recht, er ist wieder ganz der Alte. Trotzdem, wer in nächster Zeit diese oder jene Kastration
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