Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
Geschenke!»
Diese tief fundamentalistische Haltung zum Weihnachtsfest bewahrte sich Konrad genau zwei Tage lang. Dann begriff er das wahre Potenzial der neuen Information. Dadurch, dass er jetzt etwas wusste, was seine jüngeren Geschwister eben noch nicht erfahren sollten, war er plötzlich im Besitz von Herrschaftswissen.
Vier Tage später bemerkte Jana, die Mutter, wie Konrads jüngere Geschwister, Clara und Michel, kleine Netze bastelten. Der gütige Siegfried, klärten sie die Mutter auf, sorge sich doch im Winter um die hiergebliebenen Vögel. Deshalb hänge man in der Nacht zum 25 . November solche Siegfriednetze vor die Tür, die der gütige Siegfried dann mit Vogelfutter und zur Belohnung für die Kinder auch mit vielen Süßigkeiten fülle. Konrad habe ihnen vom gütigen Siegfried erzählt. Gott sei Dank gerade noch rechtzeitig, denn in zwei Tagen sei es ja schon so weit.
Als Jana Konrad zur Rede stellte, erklärte dieser, wenn er schon gezwungen werde, die schwer erträgliche Weihnachtsmannlüge mitzutragen, dann wolle er dafür aber wenigstens etwas für die armen Vögel tun. Das mit dem gütigen Siegfried und den Süßigkeiten sei nur zur Motivation für die jüngeren Geschwister. Damit sie keinen Verdacht schöpfen, werde aber auch er ein großes Siegfriednetz draußen an die Tür hängen.
Seine Eltern waren zwar ein wenig irritiert, aber immerhin steckte ein redlicher Gedanke dahinter, das Wohl der Vögel. Außerdem regte das Basteln die Kreativität der jüngeren Geschwister an. Daher beschlossen sie, beim Tag des gütigen Siegfried mitzumachen, und waren eigentlich auch ein wenig stolz auf Konrad und seine Idee. Philipp, der Vater, bastelte mit den Kindern sogar noch ein richtiges Vogelhäuschen für den Innenhof, wodurch der Tag des gütigen Siegfrieds ein echtes Familienfest wurde.
Es dauerte nicht lange, dann standen drei selbst gebastelte Schalen vor der Tür. Es gehe diesmal um die freundliche Huberta, meinten die Kinder. Die freundliche Huberta, die diese Schalen mit Nüssen für die Waldtiere und Süßigkeiten für die Kinder fülle.
Auf Nachfrage erklärte Konrad seinen Eltern, sie müssten nichts im Namen der freundlichen Huberta in die Schalen legen. Er fürchte nur, seine jüngeren Geschwister wären dann sehr enttäuscht. Womöglich verlören sie dann auch den Glauben an Nikolaus und den Weihnachtsmann, erst recht, wenn jemandem unabsichtlich eine Bemerkung rausrutschen würde.
In der Folge fanden Jana und Philipp alle drei bis vier Tage irgendwelche Behältnisse vor ihrer Tür: Strümpfe für den frierenden Gottlieb, Tassen für die schlürfende Johanna, Mützen für den geföhnten Frederick, Töpfe für die kochende Helga und Wannen für den stinkenden Günter, der, wenn die Kinder schlafen, in der Wanne ein Bad nimmt, alles wieder perfekt reinigt, trocknet und zum Dank jede Menge Süßigkeiten hinterlässt.
Zudem hatte Konrad längst allen Schulfreunden mit jüngeren Geschwistern von seinem Geschäftsmodell erzählt, weshalb auch sie mit großer Freude diese Tage begingen und eigene Ideen einbrachten. Etwa den Tag der tauben Jutta, zu dem man ein jüngeres Geschwister die Nacht über rausstellen sollte, damit es der tauben Jutta, die nur in dieser Nacht hören könne, ein Lied vorsinge. Was aber verworfen wurde, da man fürchtete, wenn keine taube Jutta auftauche, könnten die enttäuschten Geschwister Verdacht schöpfen.
Sonst aber lief es gut für Konrad und seine Freunde. Man blieb nicht unbemerkt. Als Erstes meldete sich ein Blumenhändler und fragte, ob man nicht einen Tag einführen könne, an dem ein nicht zu kleiner Blumenstrauß den Süßigkeiten beigelegt werden müsse. Den Tag der blühenden Ursula zum Beispiel. Es folgten Anfragen von Bäckern nach dem Tag des Zuckergusspaul, Kioskbesitzer verlangten den Tag des qualmenden Georg, und Klempner schlugen den Tag des singenden Pömpels vor. Sogar ein Staatssekretär aus dem Finanzministerium soll angefragt haben, ob man nicht auch einen Tag erdenken könne, an dem man den Süßigkeiten griechische Staatsanleihen beilegen müsse.
Am Ende wurden die vielen besonderen Tage den Kindern aber doch zu stressig. Konrad einigte sich schließlich mit seinen Eltern darauf, dass es den Weihnachtsmann doch gebe, und verzichtete auf fast alle anderen Schutz- und Konsumheiligen. Nur den Tag des gütigen Siegfrieds anstelle von Halloween und den Tag des singenden Pömpels statt des Valentinstages, die behielten sie
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