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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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gezogen. Und in den Augen des Fremden, der auf sie zugestolpert kam, hatte sie, so glaubte sie, die Erwartung einer noch anderen Möglichkeit gesehen: dass er sie bei seiner Rückkehr nicht vorfinden würde. Aber wie sollte das sein? Hatte er ihre Nachrichten nicht gelesen oder abgehört?
    Und warum hatte er   – schließlich war sie da   – nicht froh ausgesehen oder wenigstens erleichtert?
    Jedenfalls. Da war er, und sie war auch da, in der Tür,wo sie, wohl wahr, nicht gestanden hatte, um ihn zu verabschieden. Wenn sie zum Abschied nicht da gestanden hatte, so stand sie doch jetzt da   – hatte seit einer guten halben Stunde, um es genau zu sagen, da gestanden und gewartet. Da sie nur das wusste, was er vor seiner Abreise gesagt hatte, nämlich, dass er eine Überfahrt auf der Fähre um halb fünf gebucht hatte, wartete sie in extremer Anspannung seit halb sechs (was kaum zu schaffen gewesen wäre, das stimmt). Sie war sogar zum Schlafzimmer hochgegangen, um gleich die Scheinwerfer, sobald sie über die Hügelkuppe kamen, zu sehen.
    Und Jack musste, das denkt Ellie jetzt, die fernen Lichter des Hauses gesehen haben, als er an dieser Haltebucht vorbeikam. Eigentlich ein sicheres Zeichen, dass jemand da war und auf ihn wartete. Aber hatte er Ausschau gehalten, bedeutete es ihm etwas?
    Und was machte es schon, wenn er niemals erführe, wie angespannt sie gewartet und Ausschau gehalten hatte? Bis sie endlich seine Scheinwerfer gesehen hatte   – um diese Zeit konnten es nur seine sein   –, wie sie nach Beacon Hill abgebogen waren und dann, als wäre es ein leuchtendes, huschendes Tier, entlang dem ersten, uneinsehbaren Teil der Straße gewandert waren, und schließlich bei der Kurve an der alten Kapelle mit voller Strahlkraft in den Blick gekommen waren. Wie sie laut gesagt hatte: »Jack. Jack.« Und wie sie aufgesprungen und nach unten gerannt war, um an der Tür zu stehen, alles wieder gutzumachen, die Ereignisse des Morgens vor zwei Tagen rückgängig zu machen.
    Das Essen stand im Ofen, auf dem Tisch stand eine Flasche Wein. Alle Lichter waren an. Er musste doch begriffenhaben, dass sie zu Hause war. Jetzt war er auch da. Und sie hatte da in der Tür gestanden und wieder gesagt: »Jack, mein Jack.« Hatte er sie überhaupt gehört?
    Fast schien er zu bedauern, als er auf sie zukam, dass sie nicht weg war.
    Aber was hatte sie erwartet? Und was hatte sie, da sie ja nicht mit ihm gefahren war, verdient? Aber er war da. Oder sagen wir, halb. Auf die andere Hälfte würde sie vielleicht warten müssen. Sie hatte ihm zu essen gegeben und ihn ins Bett gebracht und begriffen, dass sie von ihm, in seinem gegenwärtigen Zustand, nicht mehr erwarten konnte als seine körperliche Gegenwart. »Frag mich später, Ell. Frag mich morgen.« Sie hatte auch begriffen, dass sie nicht viele Worte von ihm erwarten konnte, nachdem er an dem Morgen vor zwei Tagen kein einziges Wort von ihr bekommen hatte.
    Sie brachte ihn ins Bett. Und er hatte geschlafen, über zwölf Stunden, und war erst nach neun aufgestanden (was nicht seine Art war). Aber falls sie gehofft hatte, eine gute Nacht würde ihn ihr ganz zurückbringen und ein gutes Frühstück   – ein Frühstück, das er, wenn nötig, zu jeder Tageszeit haben konnte   – würde das Gespräch in Gang bringen, das jetzt fällig war, dann hatte sie sich geirrt.
    Dem Anschein nach wollte er kein Frühstück haben. Er sah immer noch aus wie ein Kranker. Sie fühlte sich plötzlich an die Zeit erinnert, als ihr Dad krank wurde   – das war jetzt Jahre her   – und sie ihn umsorgt und bemuttert hatte, in dem törichten Gedanken, dass ein gutes Frühstück seine Lebenskräfte neu wecken würde. Und vielleicht hatte Jack die gleiche Erinnerung, gleich und doch merkwürdig anders, denn so fing es an.
    »Du wolltest ihn aus dem Weg haben, oder?«
    Im ersten Moment hatte sie gedacht, er meinte Tom, und dachte dann: Gut, so sollte es sein, sie müsste sich der Frage wohl stellen und sich dazu äußern. Trotzdem hatte sie nicht gedacht, mit »aus dem Weg« wäre noch etwas anderes gemeint.
    Dann hatte er lauter verrückte Sachen gesagt.
    »Ich habe mich immer gefragt, Ell, wie das sein konnte, dass dein Dad so kurz nach meinem gestorben ist. Hatten sie eine Abmachung?«
    Es ging also gar nicht um Tom. Oder doch?
    Noch hatte er nichts Schlimmes gesagt. Sie hätte ihn auch auslachen können. Er hatte eine Art Witz gemacht. Und tatsächlich hatte sie damals geglaubt, obwohl sie zu

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